Der Entwurf des neuen Fachlehrplans Kunsterziehung für Sachsen-Anhalt wurde in einem Anhörungsverfahren öffentlich zur Diskussion gestellt. Die folgende Stellungnahme wurde zum 15.04. an das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt gesandt.

Stellungnahme zum Entwurf des neuen „Fachlehrplans Gymnasium Kunsterziehung“ für Sachsen-Anhalt


1. Bildung und Erziehung im Fach: Zur Bezeichnung des Faches

Im neuen Fachlehrplan wird das Schulfach mit „Kunsterziehung“ bezeichnet.
Im Grundsatztext (S. 2-10) ist jedoch meist von „Bildung“ die Rede. Es geht um eine „ästhetische Grundbildung“ (S. 2), die „Erschließung und Erarbeitung von Bildern“ (S. 2), die Entwicklung von „Bildkompetenz“ (S. 2), das „Entdecken, Hinterfragen und Positionieren“ (S. 2), „innovative(s) Denken und Handeln“ (S. 2), „wissenschaftliche Arbeitsmethoden“, usw. Die Eigentätigkeit des sich bildenden Lernenden sowie eine kognitive wie auch emanzipatorische Komponente ist hier angelegt, so dass es im Fach Kunst über „Erziehung“ hinaus gehen sollte, wenn auch „Erziehung“ sicherlich ein Teil des Kunstunterrichts sein mag.

Es handelt sich bei „Kunsterziehung“ zudem um einen historischen Begriff. Inzwischen wird die übergreifende wissenschaftliche Disziplin als „Kunstpädagogik“ bezeichnet, das Schulfach heißt in den meisten Bundesländern „Kunst“ oder „Bildende Kunst“. Es liegt daher nahe, das Schulfach auch in Sachsen-Anhalt mit „Kunst“ zu bezeichnen.

Seit dem 1.10.2015 studieren alle neu immatrikulierten Studierenden für das Lehramt Gymnasium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle „Kunst (Lehramt an Gymnasien)“ und nicht mehr „Kunsterziehung“. Der Studiengang „Kunsterziehung“ wurde umbenannt, um an der BURG mit einer klaren und überregional verständlichen Begrifflichkeit zu agieren. Das Schulfach heißt „Kunst“ und auch an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg werden die Studiengänge des Lehramts in entsprechender Form benannt.

Der Landesverband Sachsen-Anhalt des BDK e.V. Fachverband für Kunstpädagogik hat sich bei seiner letzten Mitgliederversammlung im Februar 2016 ebenfalls einstimmig für eine Änderung der Bezeichnung des Faches ausgesprochen.


2. Entwicklung Fachbezogener Kompetenzen: Zum Bildbegriff und zum Kompetenzbegriff


Im Fachlehrplan wird von einem Bildbegriff ausgegangen, der recht eng gefasst erscheint.
Der Bildbegriff wird zwar wie folgt beschrieben: „Der Begriff Bild wird verstanden als umfassender Begriff für zwei- und dreidimensionale Objekte in Fläche und Raum, visuell geprägte Informationen sowie Prozesse visueller Erfahrungen.“ (S. 4). Diese in der Definition angelegte Offenheit wird in Folge (Jahrgangsstufen) jedoch nicht durchgehalten.
Bei prozessorientierten künstlerischen Arbeiten geht es nicht lediglich um Erfahrungen sondern auch um konkrete Handlungs- und Produktionsweisen. Zunehmend spielt Sound in künstlerischen Arbeiten eine Rolle und digitale Medien wirken mit traditionellen bildkünstlerischen Gattungen im Crossover. Gegenstand des Kunstunterrichts sollten somit auch zeitbasierte/audiovisuelle künstlerische Arbeiten sowie raumorientierte Darstellungen sein, die nicht unbedingt objekthaft sein müssen (z.B. Lichtinstallationen, Performances, mediale Installationen, Interventionen im öffentlichen Raum mit Aufführungscharakter).

Im Fachlehrplan erfolgt eine Einteilung in Kompetenzbereiche (S. 4). Es wird im Text deutlich formuliert, dass die Kompetenzbereiche „Wahrnehmen und Empfinden“, „Entwickeln und Gestalten“ sowie „Reflektieren und Präsentieren“ miteinander verzahnt sein müssen. Die Grafik (S. 5) ist insofern irreführend, als dass sie suggeriert, dass die drei Kompetenzbereiche voneinander unabhängig wie Puzzlestücke zusammengesetzt werden. Dabei ist zumindest Reflexion etwas, was sich durch alle Bereiche ziehen sollte, denn ohne Reflexion sind weder Produktion noch Rezeption sinnvoll in Unterrichtsprozesse einzubetten. Erst durch die Reflexion werden Erfahrungen und Erlebnisse ein „zentrales emanzipatorisches Element in einer medial bestimmten Welt“ (S. 5) — dies geschieht nicht automatisch. Diese Vernetzung der Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne einer umfassenden Persönlichkeitsbildung könnte besser verdeutlicht werden. Hier gehören auch Aspekte wie die Gestaltung von Lernumgebungen, die Dokumentation von Lernprozessen, wie auch deren Transparenz bzw. die Reflexion von Lernwegen und Lernzuwachs durch die Schülerinnen und Schüler. 

Die Ausführungen zur Arbeit mit digitalen Technologien (S. 9) wirken sehr konkret - hier wären offenere Formulierungen möglich, um einem zu schnellen „überholt sein“ entgegen zu wirken. Zudem ist der Begriff „Medienkunst“ hier nicht stimmig, es gibt durchaus mediale Kunstformen, die auch ohne „digitale Endgeräte“ (S. 9) erfahrbar sind — auch haptische Erfahrungen sind in diesem Kontext möglich. Auch kann es in diesem Bereich nicht nur um die Werkzeuge und Formen der Präsentationen gehen, eine Reflexion von aktuellen Technologien und Medienkulturen ist unabdingbar.
Die Bildauswahl erfolgt meist durch den Lehrenden (S. 10), doch werden auch zunehmende die Bildwelten der Schülerinnen und Schüler in den Kunstunterricht integriert, als Teil ihrer Lebenswelt. Die „grundlegende künstlerische, kunstgeschichtliche und kunsttheoretische Relevanz“ reicht demnach als Kriterium bei der Bildauswahl nicht aus. Wer bestimmt diese? Wie ist die Relevanz nachweisbar? Und was ist mit Bildern der Alltagskultur, des Design, der aktuellen Medienkultur, der Jugendkultur? Fallen diese heraus?


3. Kompetenzentwicklung in den Schuljahrgängen: Zu Struktur und Inhalten

Die Übersicht über die Kompetenzentwicklung (S. 11) enthält eine Reihe so genannter „Kompetenzschwerpunkte“. Hier verschieben sich in der Ausarbeitung zum Teil Ebenen, manche Schwerpunkte erscheinen sehr konkret (z.B. „Objekt und Verpackung untersuchen und gestelten“, „Werbung und Meinungsbilder analysieren und entwickeln“), andere Schwerpunkte wirken ungenau voneinander abgegrenzt (z.B. „Raum und Zeit“: „Erlebnisräume“ - „Aktionsräume“ - „Szenenräume“).
„Kompetenzschwerpunkte“ erscheint hier und in Folge als ein irreführender Begriff. Zwar werden immer wieder Verben verwendet, die eine Kompetenzorientierung suggerieren, doch erfolgt eine thematische Limitierung, die dann unter dem Punkt „Wissensbestände“ neu aufgegriffen wird. Die Idee der Kompetenzorientierung ist doch, dass zu erwerbende Kompetenzen formuliert werden, die dann als Ausgangspunkt für die Auswahl geeigneter Inhalte funktionieren. Diese schließen eine Lebensweltorientierung und die Schaffung von möglichst authentischen Kontexten ein, die ein selbsttätiges und handelndes Lernen ermöglichen. Hierzu gehören auch Ortswechsel, experimentelle Settings wie z.B. Lernen durch Lehren, Erprobung von Differenzierungsmöglichkeiten oder die Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler in Unterrichtsplanung und Beurteilungsprozesse.

Die Tabellen zu den unterschiedlichen Jahrgängen (S. 12 -33) bergen meines Erachtens
ein grundsätzliches Problem. Die Einteilung in „Kompetenzschwerpunkte" und
„Grundlegende Wissensbestände“ in der vorliegenden Tabellenform dürfte Leserinnen und
Leser irritieren und das Verständnis erschweren. Natürlich bedarf es zur Entwicklung von
Kompetenzen auch des Aufbaus von Wissen. Nur lässt sich beides nicht voneinander
trennen, wie es die tabellarische Form suggeriert. Wenn Lernen als ein konstruktiver
Prozess verstanden wird, dann haben wir nicht auf der einen Seite die zu erwerbenden
Kompetenzen und auf der anderen Seite die Wissensbestände, die man braucht, um diese
Kompetenzen zu bilden. So könnten die Tabellen aber gelesen werden. Es bräuchte also
eigentlich einer Anleitung, wie eine Lehrerin oder ein Lehrer mit diesen Tabellen umgehen
soll - um Missverständnisse zu vermeiden. Denn sonst könnte es dazu führen, dass der
Leser oder die Leserin denkt, die Kompetenzen entwickeln sich automatisch, wenn die
„Grundlegenden Wissensbestände“ vermittelt wurden. Hier müsste deutlich werden, dass
die Vermittlung von Wissen mit der Anwendung von Wissen verbunden sein muss.
Lehrende sollten sich fragen, mit welchen Inhalten, welchen Arbeitstechniken, Methoden,
Aufgabenstellungen, Sozialformen etc die jeweils genannten Kompetenzen erlangt werden
können. Zudem müsste den Lehrenden vermittelt werden, welche Bereiche verpflichtend
sind (es ist ja kein „Rahmenplan“ sondern ein „Lehrplan“) und welche frei wählbar bzw.
durch Kollegien und Individuen anpassbar sind.
Eine andere Einteilung und Bezeichnung würde hier schon helfen. Zu oft werden die
Ebenen gewechselt, offene Anregungen wechseln mit engen Vorgaben ab (z.B.
„Land Art“ als grundlegender Wissensbestand auf S. 13). Auch „Arbeitstechniken“ finden
Eingang in Wissensbestände — dabei handelt es sich doch meist um konkrete
Fertigkeiten oder Fähigkeiten (z.B. schreiben, zeichnen, entwerfen, …).
Mein Eindruck ist, dass der Begriff „Kunsttheorie“ in den Tabellen falsch verwendet wird. Er
bezeichnet im allgemeinen die Diskussion des zeitgenössischen Kunstbegriffs, in den
Tabellen ist aber m. E. etwas anderes gemeint (Fachbegriffe, fachspezifische Grundlagen,
Gestaltungsmittel?).
Unter „Kunstgeschichte“ werden zudem Wissensbestände aufgeführt, die eher unter
Architektur- oder Designgeschichte gefasst werden sollten (z.B. S. 15: „Form und Funktion
von Alltagsgegenständen und Verpackungen).
Auffällig ist, dass mitunter Kompetenzen sehr konkret werden und schon Arbeitsweisen oder Anforderungen beinhalten (z.B. S. 18: „einfache und konstruierte Raumdarstellungen in Bildern erkennen und hinsichtlich der Raumillusion beschreiben“ oder „den eigenen künstlerischen Arbeitsprozess in Abhängigkeit von einer Aufgabenstellung dokumentieren und darstellen (z.B. Portfolio, Skizzenbuch)).
Häufig suggerieren aber auch die Kompetenzen eine Weite und Flexibilität, die dann anhand der „Grundlegenden Wissensbestände“ reduziert wird (z.B. S. 21: „Erlebnisraum“ klingt weit, wird dann aber auf „Geschichte des Profanbaus“ bzw. auf „autonome Plastik“ reduziert, obwohl gerade hier mediale Installationen/Räume anregend wirken könnten. „Zeit“ spielt bei den grundlegenden Wissensbeständen keine Rolle.). Auch verstecken sich häufig in den Kompetenzen und Wissensbeständen Themenbereiche, die in der Überschrift anders oder gar nicht genannt werden (S. 21: „Raum und Zeit—Erlebnisräume konzipieren und gestalten“ = Plastik und Architektur?; S. 22: „Individuum und Kultur — Bild im Aufbruch interpretieren und für eigene Ausdrucksformen experimentell nutzen“ = Klassische Moderne?; „Raum und Zeit — Aktionsräume erschließen und Aktionsformen umsetzen“ = Aktionskunst/Theater?; usw.).

Das dem Lehrplan offenbar zugrunde liegende Spiralcurriculum wird nicht deutlich. Einführungen und Vertiefungen müssten voneinander abgegrenzt werden, sonst entsteht der Eindruck, die Lernenden werden z.B. erst in der 10. Klasse mit „Bild und Zitat“ oder „Visualisierungsmethoden“ (S. 26) konfrontiert und aktuelle Kunst spiele erst in der Oberstufe eine Rolle. Auffällig ist auch eine starke Konzentration auf die Gestaltung auf der Fläche, Raum- und Prozessorientierung werden zwar genannt, aber nicht konkretisiert.
Auch forschendes Lernen, aktuelle Ansätze der Kunstvermittlung oder künstlerische Prozesse jenseits eines doch gerade in der Kursstruktur der Oberstufe eng erscheinenden Bildbegriffs finden keine Erwähnung. Gerade hier ist auffällig, dass es um sehr zielorientierte gestalterische Verfahren geht, Experimente und Erprobungen künstlerischer Herangehensweisen sind scheinbar nicht vorgesehen. Hier wird Potenzial für einen zeitgemäßen und zukunftsorientierten Unterricht vergeben, der auf der anderen Seite in der Lehrerbildung in Studium und zweiter Phase gefördert und gefordert wird.

Ich wäre erfreut, wenn die genannten Anmerkungen zur Kenntnis genommen würden und möglicherweise bei einer Überarbeitung Berücksichtigung fänden.

Mit freundlichen Grüßen

Sara Burkhardt

Prof. Dr. Sara Burkhardt
Didaktik der bildenden Kunst
Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle