Ausstellung und Veranstaltungsreihe zur Wahrnehmung, Vermittlung und Sichtbarkeit von Geben, Nehmen und Weitergeben
Una H. Moehrke und Studierende, Alumni und Gäste
17.5. – 10.6.2018 in der Burg Galerie im Volkspark, täglich 14 – 19 Uhr, der Eintritt ist frei
Eröffnungsrede zur Eröffnung von erreger– | EIGEN frequenz:
Liebe Una,
ich erlaube mir, diese kleine Einleitung an Dich persönlich zu richten. Ich muss zugeben,
ich habe einige Zeit lang hin und her überlegt, worüber ich heute zur Eröffnung Deiner Ausstellung sprechen werde. Es gibt einfach sehr viele Anknüpfungspunkte und ich habe mich gefragt, wie sie miteinander verbunden sind. Da werden zum einen Deine neue Malereien präsentiert, kombiniert mit zwei Hörstationen, die die Verbindung zu Deinen Textarbeiten schaffen – das ist ein Thema. Zum anderen zeigen 29 Deiner Studierenden und AbsolventInnen eigene Arbeiten, die von Deiner Lehre angeleitet oder inspiriert sind. Du hattest sie eingeladen. Diejenigen, die hier ausstellen, haben Deine Einladung angenommen. Sie haben im Bereich Kunstpädagogik studiert oder sind noch dabei, teils in Kombination mit Kunst/Lehramt und in früheren Jahren auch mit Kunstvermittlung – diesen einzelnen sich zu widmen, wäre in weiteres Thema. Ihr habt die Arbeiten innerhalb der Galerieräume getrennt, wir stehen jetzt hier vor Deinen Bildern, die studentischen Arbeiten befinden sich in den anderen drei Räumen, und Du wünschtest Dir ein Schwingen zwischen den Räumen. Deine Formel dafür lautet: Impuls und Resonanz.
Ein weiterer Punkt ist interessant und nennenswert: Wie Ihr, Du und die Studierenden, mit dem Medium der Ausstellung umgeht, da Ihr während der Laufzeit und während der Öffnungszeiten umbaut und eine zweite Eröffnung eingeplant habt. Und zu guter Letzt: Eure geplanten 17 Veranstaltungen in 25 Tagen, die sich offensiv an das Publikum wenden werden, aber keine klassische Kunstvermittlung meinen im Sinne musealer Führungen und Erklärungen durch eine sachkundige Person, sondern Gruppenerfahrung und künstlerische Erweiterung des Raumes evozieren.
Als Fährte könnte Euer Titel der Ausstellung dienen, der höchst anspruchsvoll ist:
erreger– (Gedankenstrich, gerader Strich) | EIGEN frequenz - Ausstellung und Veranstaltungsreihe zur Wahrnehmung, Vermittlung und Sichtbarkeit von Geben, Nehmen und Weitergeben.
Liebe Gäste, liebe Studierende, liebe Kollegen und Kolleginnen,
ich möchte Sie noch ein Stück weiter mitnehmen in meinem Annäherungsprozess an dieses sich verzweigende, künstlerisch wie lebensphilosophisch ambitionierte Vorhaben. Una Moehrke sandte mir zum besseren Verständnis einen Text: "Gabe", Sozialontologie und Religionsphilosophie: französische Denkanstöße.
Nach dessen Lektüre meinte ich, noch schnell ein Proseminar absolvieren zu müssen. Sie hatte mir noch einen zweiten Text mitgeschickt, ihren inspirierenden Bericht aus der praktisch-künstlerischen Gabe-Forschung. Er bezog sich auf das wagemutige Experiment von 2017, mit Studierenden ohne Geld nach Frankreich zu reisen und unterwegs auf Spenden anderer Menschen angewiesen zu sein. Ich erinnere mich an die leichte Aufregung von Sara Burkhardt, unserer Professorin für Fachdidaktik, vor dem Aufbruch, denn es macht einen Unterschied, ob man so etwas allein austestet oder ob man noch die Verantwortung für andere übernimmt. Ich fand das Vorhaben mutig und hätte gern daran teilgenommen.
Unter Punkt 2 „Vertrauen und Risiko“ schreibt Una Moehrke in dem Bericht:
In den ersten 5 Reisetagen sind wir im Wechsel zwischen couragiert und euphorisch, mutlos und erschöpft, energetisiert und hungrig. Bei allen ungewohnten Erfahrungen erleben wir die unfassbare Unterstützung unseres Kontextes:
- der Gruppe, von der wir nicht wissen können, wo sie ist und in welcher Verfassung sie ist
- der Fahrer_innen, die uns danken für unsere Gesprächsgaben
- unseren Reisepartner_innen, die uns ergänzen, anregen, ermutigen, die helfen, Krisen zu überstehen, die uns bereichern und schonen, wenn wir es brauchen
- der Pausen, die uns Raum und Kraft geben, weiter zu machen
Mit der prozessualen Melange von Autobahn, Rast- und Tankstellen, Straße, fremden Wohnungen, Gesprächserlebnissen nähern wir uns in der Reisekontinuität eher passiv als aktiv dem Reiseziel Mesiod und erleben ein Versetztsein, - wir sind nicht hier, nicht dort: aus unserer vertrauten Umgebung gerissen, fließen wir dahin in einem ort- und zeitlosen Raum, - der eigenen Erweiterung/Veränderung zu.
Dieser Auszug beschreibt eine Grenzerfahrung, etwas, das in unserer heutigen westlichen Gesellschaft eher mit sportlichen Extremen in Verbindung gebracht wird (Marathonlauf, Bergsteigen, die Wüste durchqueren ...) und nicht mehr unbedingt als soziale Erfahrung angestrebt und wahrgenommen wird.
Una Moehrke wählt(e) für ihre Lehre gern kunstferne Referenzen, oft die Soziologie, für dieses oben genannte Reise-Experiment hat sie sich mit dem französischen Soziologen Marcel Mauss und seinem Buch der Gabe (1925) intensiv beschäftigt. Im Umfeld von Mauss und dem in Deutschland fast unbekannten Collège de Sociologie in Paris, das von 1937–39 existierte, fand ich hochinteressante und sehr zeitgemäß wirkende wissenschaftliche Überlegungen zur Atomisierung der Gesellschaft sowie zu den Folgen und Risiken von Individualisierungsprozessen. Damals war die Zeit des Faschismus und es herrschte in Europa eine bedrohliche Krisensituation. In diesem Kontext wurde von Denkern wie George Bataille oder Michel Leiris auch darüber nachgedacht, das Sakrale zu stärken.
Einen sakralen Zug erkenne ich auch in Una Moehrkes Malerei – das Sakrale im Sinne des Transzendenten als Gegenpart zum Profanen. Es klingt an, wird jedoch auf verschiedene Weise kontrastiert und damit profaniert, ohne es zum Verschwinden zu bringen. An diese Empfindung rühren im Grundklang Una Moehrkes weiße Bilder, wenige zarte geometrische Formen schweben auf der Fläche oder minimale gestische Malspuren erinnern an körperliche Handlungen.
Die wichtigste Rolle kommt der Wirkung des Lichtes zu. Dünn vermalte Metallpigmente auf weißem Grund machen durch Reflexion Veränderungen sichtbar. Es handelt sich um Bewegung in der Potenz. Una Moehrke liebt auch die Störungen: Mitunter wuchten sich dunkle Formen aus dem lichten Hintergrund.
Denken, Arbeiten und Leben in Polaritäten und das Zueinanderfinden in der Gemeinschaft – diesen Ansatz Una Moehrkes finde ich auch in etlichen Arbeiten ihrer Alumni wieder.
(Ich gehe hier pars pro toto auf diejenigen ein, deren Arbeiten ich schon seit längerem kenne)
* Ulf Aminde – Film Frontalunterricht
Wie bei der „Reise ohne Geld“ handelt es sich hierbei auch um ein soziales Experiment mit offenem Ausgang. Aminde arbeitete mit Jugendlichen für das Theater, die zunächst die Zusammenarbeit verweigerten und diese widerständige Haltung erst aufgaben, als der Regisseur die Rollen verkehrte: Die Jugendlichen sollten ihn darstellen.
Hier ging es stark um das Verhältnis von Vertrauen und Risikobereitschaft.
* Georg Lisek (in der 3.Woche)
Georg Lisek ist bekannt für seine performativen Moderationen an der BURG (Philosophie als Denken im Prozess). Er stellt in der neuen Video-Arbeit die hintergründige Frage nach der digitalen Identität und der Verantwortung, die dafür übernommen werden muss.
* Lisa Schwermer-Funke (Teil 2 der Ausstellung)
Sie zeigt ein Performance-Relikt, in dem es um das Verhältnis von Spontanität und Kraft geht.
Die Studierenden sind in mindestens zwei Kontexten zu erleben. So sind ihre künstlerischen Arbeiten zu sehen, die alle Medien vertreten: Malerei, Zeichnung, Installation, Performance, Video und noch mehr. Die Arbeiten wurden als Gabe verstanden, die entweder auf Themen der Lehre Bezug nehmen oder auf Una Moehrkes Kunst oder sich als Widerpart zu beidem sehen. Zugleich sind fast alle in und mit der Ausstellung aktiv und vor Ort: beim 5-tägigen Wahrnehmungsexperiment CAMP zum Beispiel, während der Lehre in der Ausstellung, beim Umbau der Ausstellung während der Öffnungszeiten u.v.m. Sie zeigen sich und sie gehen gleichzeitig auf uns zu. Es geht auch um das Ausprobieren von Formen der Gemeinschaft und darum, „Routinen aufzubrechen“, die eigenen und die der anderen.
Zu letzterem, dem „Aufbrechen von Routinen“ möchte ich noch einmal Una Moehrke zu Wort kommen lassen. Es betrifft die Titelvergabe für ihre hier ausgestellten Bilder. Aus gesammelten Zitaten von verschiedenen Autoren hat die Künstlerin nach einem bestimmten Zahlenverhältnis Worte ausgewählt. Sie schreibt dazu: „Ein aus Komposition und Architektur bekanntes Verfahren, um durch Zahlensymbolik verborgene Sinnebenen wirken zu lassen (...).“ In einem ihrer Gedichte finde ich einen Absatz, der mir ebenso einleuchtet:
„Aha, so geht’s maßloser Spaß und 3 Aas // der Fließtext ist nass, kommt zu Pass, Ausweis fehlt, was kommt // war schon da- WAHR!
Meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage, wie die vielen Teile miteinander verbunden sind, lautet: auf jeden Fall lustvoll, herausfordernd, Gegensätze zulassend und provozierend sowie gemeinschaftsstiftend.
Liebe Studierende, Sie sind in meiner Rede etwas zu kurz gekommen. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich mich sehr auf all ihre Aktivitäten in der Galerie freue. Wir warten schon lange auf die kunstpädagogischen Impulse aus Ihrem Bereich. Jetzt ist er da, der MOMENT, wo es losgeht. Zur Finissage am 9. Juni 2018 wird es Gelegenheit geben, dies zu resümieren.
Kurz möchte ich danken:
Una Moehrke für dieses besondere Vorhaben und Luise von Rohden für die großartige Unterstützung, dem Galerieteam, dem Gestalter Patric Dreier, der Öffentlichkeitsarbeit und der Druckerei.
Zur Ausstellung erscheinen zwei Kataloge. Der zu Una Moehrkes aktuellen Arbeiten liegt heute bereits vor, der zu den studentischen Arbeiten in der Ausstellung zur Finissage am 9. Juni 2018.
Es gibt für Sie genügend Gelegenheiten, wiederzukommen: Genießen Sie den Abend und schauen Sie, so oft Sie können, erneut vorbei.
Jule Reuter, 16.5.2018
Die Ausstellung zeigt Una H. Moehrkes Werke im Zusammenspiel mit künstlerischen Arbeiten von Studierenden und Absolvent*innen, die Impulse einzelner Werke oder zentrale Themen ihrer Lehre aufnehmen. Wie entzünden sich die Exponate aneinander? Welchen Response lösen sie aus? Das temporäre leben im Ausstellung- und Vermittlungsraum etabliert Ausnahmesituationen, die Routinen aufbrechen, Bereitschaft zur intensivierten Kunsterfahrung schaffen und gewohnte Rezeptionsstrukturen zu hinterfragen suchen. Dazu gehört auch der Umbau der Ausstellung am 29. Mai 2018 während der Öffnungszeiten.
Mit Saskia Albrecht, Ulf Aminde, Jan Apitz, Heather Fink, Frauke Frötschl, Anne-Lena Fuchs, Nora Haser, Theo Huber, Irmela Gertsen, Marie Gülzow, Annegret Jürgens, Marcus Kobert, Nele Kraus, Georg Lisek, Saskia Macher, Josephine Menzel, Lukas Paul Meya, Una H. Moehrke, Julia Miorin, Marie Newid, Naomi Pietros, Julian Plodek, Julia Ragotzky, Elisabeth Rändel, Juliane Schickedanz, Jochen Schneider, Viktor Sobek, Uli Schubert, Hannah Schwarz-Wissel, Lisa Schwermer-Funke, Judith Tschernitschek, Henrik Urbainczyk, Luise von Rohden, Axel Winter, Franziska Paula Wolber und Ella Ziegler.
Einladung zur 1. Eröffnung, Mittwoch, 16. Mai 2018 18 Uhr
- Soundspeech von Helmut Bieler-Wendt
- Begrüßung von Prof. Dr. Sara Burkhardt, Prorektorin der BURG
- Einführung von Dr. Jule Reuter, Kuratorin der Burg Galerie im Volkspark
- Cocktail zu einem Bild von Una H. Moehrke mit Prof. Dr. Susanne Pfleger
- Musik und Drinks
Einladung zur 2. Eröffnung, Mittwoch, 30. Mai 2018 18 Uhr
- Gespräch mit Juliane Schickedanz
- Kuration und Kunstvermittlung im Rahmen der Picknick-Veranstaltungen
- Musik und Drinks
Finissage, Samstag, 9 Juni. 2018 18 Uhr
- Release des Ausstellungskatalogs
- Konzert mit Gudrun Ravens, Querflöte
- I´m Angst. Performance-Konzert von Theo Huber
- Musik und Drinks
Nähere Informationen zu den Veranstaltungen folgen.