Ausstellung in der Burg Galerie im Volkspark vom 11. Oktober bis 4. November 2012.
Vernissage am Mittwoch, 10. Oktober 2012, 18 Uhr

Die Ausstellung „graduiert ≈ präsentiert. Werke von Burg-Stipendiaten“ zählte über 670 Besucher. Ein Video von Burg-Student Michel Klehm dokumentiert die Schau auf kompakte Art. Die MDR-Radio-Sendung von Katrin Becker bespricht Inhalt und Kontext der Ausstellung in treffender Form ausgehend von Interviews mit Studierenden und der Burg-Prorektorin. Hinzu kommt, dass die Vernissage-Rede von Prof. Dr. Nike Bätzner online zugänglich ist. (Siehe rechte Spalte)

Die Burg Galerie im Volkspark zeigt die Ergebnisse der Graduiertenförderung 2011/2012, die auf einer intensiven Phase der Ausarbeitung und Verdichtung des eigenen künstlerischen Potenzials basieren. Präsentiert werden die Werke folgender Stipendiaten:

  • Heike Becker (*1982), M.A. Conceptual Fashion Design (Fachbereich Design, Studiengang Master Conceptual Fashion Design)
  • André Fuchs (*1982), Diplom Kommunikationsdesign (Fachbereich Design, Studiengang Kommunikationsdesign)
  • Johannes Krause (*1980), Diplom Zeitbasierte Künste (Fachbereich Kunst, Studiengang Plastik, Studienrichtung Zeitbasierte Künste)
  • Georg Lisek (*1985), Diplom Kunstpädagogik (Fachbereich Kunst, Studiengang Kunstpädagogik)
  • Constanze Rilke (*1978), Diplom Textile Künste (Fachbereich Kunst, Studiengang Plastik, Studienrichtung Textile Künste)
  • Alexander Schellbach (*1976), Diplom Keramik (Fachbereich Kunst, Studiengang Plastik, Studienrichtung Keramik)
  • Sonja Schrader (*1980), Diplom Bildhauerei/Schwerpunkt Figur (Fachbereich Kunst, Studiengang Plastik, Studienrichtung Bildhauerei/Schwerpunkt Figur)
  • Stefan Schwabe (*1984), Diplom Multimedia|VR-Design (Fachbereich Design, Studiengang Multimedia|VR-Design)
  • Hyoun Jung Sung (*1979), Diplom Schmuck, Meisterschülerin im Schmuck seit Wintersemester 2011/2012 (Fachbereich Kunst, Studiengang Plastik, Studienrichtung Schmuck)


Heike Becker 

Der Lodenstoff hat in der Welt der Mode und Outdoor-Bekleidung kein gutes Image trotz seiner hervorragenden physiologischen und technischen Eigenschaften (Thermoregulation, Wasserabweisung, thermoplastische Formbarkeit, Schnittkantenfestigkeit). Auch verharrt der Loden zu Unrecht in der Nische der Trachten. Um die Spezifik des Materials Loden zu testen, habe ich Kleider und Sportjacken aus Loden in verschiedenen Verarbeitungstechniken hergestellt, etwa durch Dressur (dreidimensionale Formung), Lasertechnik und offene Schnittkanten. Diese Musterstücke wurden an Probanden verteilt und deren Berichte ausgewertet. 
Ausgehend von den Ergebnisse dieser praktischen Recherche ist am Ende nicht, wie anfangs gedacht, eine Serie aus zarten, gemusterten Lodenkleidern und Sportsachen entstanden, sondern eine Mantelkollektion. In ihr wird der Loden sowohl mit technischen Funktionstextilien als auch mit Federn und Fell kombiniert. (Text: Heike Becker)

André Fuchs
Das Interieur eines öffentlichen Verkehrsmittels ist oft übersäht mit wirren Mustern. Auf diesen mögen sowohl die Kekskrümel der Fahrgäste weniger zur Geltung kommen, als auch deren Schmierereien. Die teils wahnwitzigen Muster scheinen aus Verzweiflung oder eigenwilligem Sportsgeist der Betreiber zu entstehen. Jedenfalls ignoriert man diesen allgegenwärtigen Teil der Alltagskultur lieber. Industriell produziert, folgen diese Muster ausschließlich dem Prinzip der steten Wiederholung. Diese gleichförmige Reihung (Rapport) eines unregelmäßigen Elements ist ein aufwändiger Widerspruch in sich – ordentliche Unordnung. Bei diesem Problem setzt meine Arbeit an. Zufallsverteilung (Aleatorik) und komplexere Modelle von Rapportierungen (aperiodische Parkettierungen) interessieren mich als alternative Methoden zur Mustergestaltung. Beide führen zwar zu sehr verworrenen, jedoch gleichmäßigen Mustern. Während ich in einer Theorierecherche die Geschichte dieser bildnerischen Verfahren dokumentierte, zeigt nun die Ausstellung hierzu praktische Ergebnisse. (Text: André Fuchs)

Johannes Krause
Der Ausgangspunkt des Projekts „Zerlegungen“ ist eine Reihe von Experimenten mit zu Boden fallenden und zerbrechenden Gegenständen. Die Aufnahmen fanden einerseits in einem schallisolierten Raum sowie anderseits im Foyer des Volksparks statt. Diese akustischen Ergebnisse sind in einem Klangarchiv dokumentiert. An diesem Prozess interessierte mich die zeitliche Entwicklung des vom Zufall bestimmten Klangereignisses. Durch Fall, Aufprall, Bruch und Zerstreuung änderte der Gegenstand in wenigen Sekunden seine Form. Zum Einsatz kamen Gegenstände aus Glas und Porzellan, wie Teller, Tassen, Schalen, Lampenschirme, Scheiben, Vasen, Reagenzgläser, Aschenbecher und Neonröhren. Die Klanginstallation setzt das Prinzip der Zerlegung nun auf der Raumebene fort. Eine Software lädt in Abständen von vier bis zwanzig Minuten eine Stereoaufnahme eines zerbrechenden Gegenstands aus dem Klangarchiv und spielt sie über Lautsprecher ab. Das Klangereignis splittet sich über mehrere Räume auf. Der Klang als ein zusammenhängendes Ereignis wird jetzt auch räumlich in seine Bestandteile zerlegt. (Text: Johannes Krause)

Georg Lisek
Beim Blick auf den Bildschirm ereignen sich unglaubliche Momente: eine Frau wird vom Blitz erschlagen, ein Mann verwandelt sich in einen Baum. Es gibt schlafwandelnde Hunde und prügelnde Bengels zu sehen. Von hier aus in der eigenen künstlerischen Praxis die Grenzen von Ernsthaftigkeit, Ironie, Fake und Lächerlichkeit auszuloten, ist zentral für einen medienkritischen Umgang mit Bild- und Sprachwelten. Die Videos und Fotografien von Georg Lisek legen Phänomene der kalkulierten Inszenierung offen, sie spiegeln die Suggestivkraft alltäglicher, normaler oder „authentischer“ Video-Blogs, die letztlich nichts anderes sind als präzis platzierte Werbung und Manipulation. Diese gesteuerte Vortäuschung eines glitzernden, coolen, aufregenden und angesagten Zustands findet in fast allen Bereichen des medialen Agierens statt – vom Sprechen bis zum Malen. In Liseks Videoarbeiten erscheinen „Wesen von der anderen Seite“, die Angst vor uns haben. Sie sind die Ergebnisse eines Kristallisierungsprozesses zu einer offenen Wahrnehmung von Bild, Wort und Welt. (Text: Dr. Valentin Scheller)

Constanze Rilke
Constanze Rilke überlagert in ihren sehr großen Zeichnungen unterschiedliche Medien, Gattungen und Bildtypen, wodurch das – durch kulturelle Muster geleitete – Entstehen eines Bildes stark irritiert wird. Sie füllt die Fläche mit Graphismen, Strichen – die nahe an bloße graphische Spuren heranreichen. Durch die semantische Leere dieser Striche halten sie sich an der Schwelle der Les- oder Deutbarkeit: sie geben nicht etwas Bestimmtes zu sehen – sie bilden eine Art von Surrogaten oder Statthaltern, sie indizieren nichts als die Anwesenheit einer zeichnerischen Fläche. Zwischen der Zeichnung als Bildeinheit und der Zeichnung als Ansammlung asemantischer kleiner Einschreibungen fällt die vermittelnde Ebene aus. Dem Blick, der seinen Abstand zur Zeichnung verändert, der sich ihr nähert oder sich entfernt, wird nichts Fassbares gegeben; nur in den Grenzdimensionen, der Totalität der Bildfläche oder den Mikrographismen, bekommt er überhaupt etwas zu fassen. (Text: Johannes Meinhardt, Auszug aus: „Blick und Bild. Die Wiederauferstehung der Landschaft aus kontingenten Mikrostrukturen“, in: Katalog über Constanze Rilke, Halle 2012.)

Alexander Schellbach
Meine künstlerische Arbeit befragt und hinterfragt Bild-Manipulationen, die unbewusste Täuschung durch Bilder und Schlagzeilen sowie die Wahrnehmung von Kommunikationsprozessen in den Massenmedien. Fotos und Schlagzeigen in den Print- und Online-Medien geben vor, den Lesern einen authentischen Realitätseindruck zu vermitteln. Dabei wird vernachlässigt, dass nicht alle Medien in einer Beobachterrolle verbleiben, sondern sowohl politisch als auch ökonomisch selbst zu handelnden Akteuren werden. Für den nicht professionellen Endrezipienten sind die Interessen von Medien aber nicht immer klar identifizierbar. Im künstlerischen Medium der Zeichnung versuche ich herauszufinden, wie komplexe ikonische Kodierungen und gestisch-mimische Zeichenauf Abbildungen eingesetzt werden, um Sachverhalte zu stützen. Dabei interessiert mich das Synthetisieren verschiedener Schlagzeilen, wie etwa zu Fukushima: „Die Regierung überlegt, die Reaktoren mit Spezialplanen abzudecken“ (NWZ-Online, 30.3.2011) und „US-Flugzeugträger fährt durch Strahlenwolke“ (Spiegel-Online, 14.3.2011). (Text: Alexander Schellbach)

Sonja Schrader
„Ist mein Herz in Missetaten / und in grosse Schuld geraten / wasch es selber, mach es rein“. Diese Textzeile ist der 2. Vers des von J. S. Bach vertonten Stabat Mater: „Tilge, Höchster, unsere Sünden“. Sie basiert auf den 51. Psalm nach Martin Luther. In Anlehnung an diesen Vers ist meine Videoarbeit „VERSUS II: Unschuldlos“ entstanden. Sie zeigt, wie in einer raumlosen Umgebung eine unbekleidete Frau vor einer große Schüssel steht und sich wäscht. Die Kamera beobachtet den Waschvorgang innerhalb einer Umrundung von 360°. Die Sicht auf den Frauenkörper ist durch den Bildausschnitt begrenzt. Acht Frauenkörper repräsentieren die Frau, die sich von Kopf bis Fuß wäscht.Meine Arbeit „Unschuldlos“ ist eine Annäherung an das ambivalente Verhältnis von Scham und Schuld. Durch die Verbindung verschiedener Medien entsteht eine dialogische Rauminstallation. (Text: Sonja Schrader)

Stefan Schwabe
Fasziniert von Dingen, die lebendig wirken, beschäftige ich mich in meiner Arbeit mit dem Verständnis der Seele sowie mit ihren Verbindungen zu unserer Wahrnehmung von Artefakten, materieller Kultur und zweiter Natur. Das Werk „The Kernels of Chimaera“ verkörpert die Idee einer Produktionsstrecke, in der Artefakte aus lebendigem Material wachsen und modifiziert werden. In Form eines maschinellen Schauspiels beleuchtet und hinterfragt die Arbeit, was es bedeutet, wenn wir lebendige Materie nutzen und zielgerichtet beeinflussen, um spezifische Formen sowie Produkte wachsen zu lassen. Die von mir gebaute Maschine beinhaltet lebendige Bakterien (Kombucha), die auf der Oberfläche von grünem Tee dünne Zellulose-Schichten produzieren. Jeden Tag „erntet“ der Automat eine dieser frisch gewachsenen Schichten, sticht sie mit einer feinen Nadel an und bläst sie auf. Sobald ein aufgeblähter „Kernel“ schließlich ausreichend getrocknet ist, wird er von einem Luftstrom empor gehoben und beginnt zu schweben. (Text: Stefan Schwabe)

Hyoun Jung Sung 
Hyoun Jung Sung beschreibt mit ihren Arbeiten die Komplexität und Pluralität des Individuums wie auch der Welt, in der er lebt. Sie weist gleichzeitig auf die gegenseitige Abhängigkeit des Einzelnen zu den anderen hin. Sowohl ein Globus als auch ein Bild von zwei sich anschauenden Köpfen bestehen aus vielen farbigen und gemusterten Puzzleteilen aus Acrylglas, die einzeln als Broschen getragen werden können. Die Broschierungen sind vorgefertigt und einheitlich, ihre Gestaltung ist nüchtern und funktional. Die Besucher sind nicht nur Betrachter dieser Arbeiten, sondern ebenso Teilnehmer daran, denn sie können Stücke daraus entnehmen und als Schmuck tragen. Durch die Entnahme der Puzzleteile wird der Grundgedanke sichtbar und lebendig. Das Tragen als Schmuckstück setzt ein Zeichen, mit dem man sich identifiziert und zu erkennen gibt. Damit wird Individualität artikuliert wie auch die Zusammengehörigkeit des Individuums zum Weltganzen. (Text: Prof. Daniel Kruger)

Auf der Grundlage des Graduiertenförderungsgesetzes (Grafög) des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. Juli 2001 können sich Absolventinnen und Absolventen von Diplom- und Masterstudiengängen der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle für ein Graduierten-Stipendium zur Förderung des künstlerischen und wissenschaftlichen Nachwuchses bewerben. Der Grundbetrag des einjährigen Stipendiums beträgt monatlich 894,76 Euro, zzgl. Sach-und Reisekostenzuschuss und ggf. Kinderbetreuungszulage. Für Künstlerinnen und Künstler ist das Graduierten-Stipendium eine Chance, die eigene Künstlerpersönlichkeit weiter zu entfalten und ohne wirtschaftlichen Druck dem eigenen Werk einen Entwicklungsschub zu verleihen.

Begrüßung
Prof. Axel Müller-Schöll

Einführung
Prof. Dr. Nike Bätzner

Klang-Aufführung
Johannes Krause und Claus Stoermer mit „Zerlegungen“


Burg Galerie im Volkspark
Schleifweg 8a
06114 Halle (Saale)
Tel. +49 (0)345 7751-526
burggalerie@burg-halle.de

www.burg-halle.de/galerie

Öffnungszeiten
Mo–Fr 14–19h / Sa + So 11–16h