Immer dann, wenn etwas schiefläuft, wird interveniert. Geopolitisch kennt man die höchst umstrittene „humanitäre Intervention“, als eine Form militärischer Gewaltanwendung zur Vermeidung und Beendigung schwerer Menschenrechtsverletzungen. In der Medizin wird spätestens dann interveniert, wenn ein Organ oder Organsystem nicht mehr die notwendige Leistung bringt oder sonst wie aus der Reihe tanzen. Ein Herzschrittmacher, beispielsweise, ist eine Intervention, um das Herz auf Trab zu bringen. Intervenieren bedeutet, sich, meist in kritischer Absicht, einzumischen. Intervenieren hat und ist Methode: Der Begriff „Intervention“, der mittlerweile auch für ein popkulturelles Sujet und Phänomen steht – von der US-Reality-Show „Intervention“ bis hin zu Flashmobs im Einkaufszentrum –, wurde in den 1980er Jahren ursprünglich für künstlerische Eingriffe in soziale Umfelder geprägt. Seitdem ist die Intervention auch eine etablierte künstlerische Strategie, die – etwa im Unterschied zur Installation – in bereits bestehende Zusammenhänge und Routinen eingreift: Beispielsweise verändern Interventionen an (sub-)urbanen Orten temporär das städtische Gefüge, um bestehende Strukturen zu hinterfragen, die im Regelbetrieb ganz natürlich erscheinen. Das Intervenieren ist daher auch eine produktiv-gestalterische Methode, die im spekulativen Design oder in so genannten Reallaboren zum Einsatz kommt. Auch in der wissenschaftlichen Forschung finden Intervention statt, so kennt die Soziologie etwa das Krisenexperiment (Breaching), bei dem durch explizite Missachtung sozialer Konventionen die Art und Weise der Wirklichkeitskonstruktion sichtbar gemacht werden soll.
Für Michel de Certeau sind es dabei gerade die alltäglichen Praktiken des Gehens, Erzählens, Sprechens, Schreiben, Denkens, Lesen und Machens, welche die Möglichkeit bieten, sich anzupassen, ohne sich mit dem System gemein zu machen. Durch Tricks, Finten und Listen, kann in das Gegebene parodierend, störend und auch modifizierend eingegriffen und der Raum wieder angeeignet werden. Im Unterschied zu den oben genannten staatlichen Eingriffen, gehören solche aktivistisch-interventionistischen Praktiken zu den Taktiken der Marginalisierten, handelt es sich doch um Manöver, die immer mit einer bereits vorgegebenen, anderen Raum- und Zeitordnung vorliebnehmen (müssen) und deren jeweilige Lücken, Unwägbarkeiten und Inkonsistenzen ausnutzen. Die Intervention gehört damit auch in das Repertoire des politischen Aktivismus: vom Tanzen und Gehen als Widerstand, über Formen des zivilen Ungehorsams bis hin zur Sabotage. Aus den situativen Gegebenheiten werden interventionistische Verhaltensweisen entwickelt, um so bestehende Machtverhältnisse (des Staates, des Kapitalismus, der Gesellschaft) kritisch zu reflektieren, zu unterwandern. Intervention ist dabei häufig positiv besetzt, wobei jeder Intervention eine Entscheidung zu Grunde liegt, der eine normative Aussage vorausgeht.
Im Seminar wollen wir einen kritischen Blick auf die vielfältigen Praktiken des Intervenierens werfen. Beispielsweise wollen wir diskutieren: Wer entscheidet, was wann welcher Intervention bedarf? Wem kommt die Intervention zugute? Die vielleicht noch wichtigere Frage aus dem Seminartitel: Was bleibt? Was bleibt nach den Straßenblockaden von Extinction Rebellion, nach der Räumung der Occupy-Camps, nach den urbanen Interventionen im Zuge des arabischen Frühlings? Ist eine Interventionsmüdigkeit zu spüren? Sind wir in einer Post-Interventionistischen Phase angekommen? Haben sich alle Eingriffe ins System abgenutzt?
Diese und weitere Fragen wollen wir im Seminar anhand ausgewählter Lektüren sowie Beispielen aus der Praxis diskutieren.
Literatur
- De Certeau, Michel de (1988): Kunst des Handelns. Berlin: Merve-Verlag, S. 11-32.
- Fisher, Mark (2009): Capitalist Realism. Is there no alternative? Lanham: John Hunt Publishing.
- Garfinkel, Harold (1967): Studies in Ethnomethodology. New Jersey: Englewood Cliffs.
- Halse, Joachim; Boffi, Laura (2016): Design Interventions as a Form of Inquiry. In: Rachel Charlotte Smith, Kasper Tang Vangkilde, Mette Gislev Kjaersgaard, Ton Otto Joachim Halse und Thomas Binder (Hg.): Design anthropological futures. Exploring emergence, intervention and formation. London, New York: Bloomsbury Academic an imprint of Bloomsbury Publishing Plc, S. 89–103.
- Heiler, Jörg (2013): Gelebter Raum Stadtlandschaft. Taktiken für Interventionen an suburbanen Orten. Bielefeld: transcript.
- Jonas, Wolfgang (1996): Design als systemische Intervention. Für ein neues (altes) "postheroisches" Designverständnis. In: Hochschule für Kunst und Design Halle (Hg.): Objekt und Prozess. 17. Designwissenschaftliches Kolloquium, 28. bis 30. November 1996, Halle, S. 159-179.
- Malm, Andreas (2022): Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Zweite Auflage. Berlin: Matthes & Seitz Berlin.
- Polze, Anna (2023): Im Feed erscheinen. Rhetorische Ansätze in den visuellen Investigationen von Forensic Architecture. In: Roland Meyer (Hg.): Bilder unter Verdacht. Praktiken der Bildforensik. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 84–103.
- Smith, Rachel Charlotte; Otto, Ton (2016): Cultures of the Future. Emergence and Intervention in Design Anthropology. In: Rachel Charlotte Smith, Kasper Tang Vangkilde, Mette Gislev Kjaersgaard, Ton Otto Joachim Halse und Thomas Binder (Hg.): Design anthropological futures. Exploring emergence, intervention and formation. London, New York: Bloomsbury Academic an imprint of Bloomsbury Publishing Plc, S. 19–36.
- Stein-Hinrichsen, Kristina (2022): Tanzen als Widerstand. Bielefeld, Germany: transcript Verlag.