Philosophie der Subtilitäten oder: Berühren denken

„Mit den Händen Berühren wir die Materie; sie tönt in den Ohren und läßt die Haut erschauern; sie blendet die Augen und füllt den Mund: feste, flüssige, gasförmige Materie, akustisch oder leuchtend, rauh, porös oder seidig, ins Tote eingebunden, ins An-sich, das Objektive, die Substanz, dunkle, stabile Ruhe, unten; sie wird leicht und steigt als Geist auf im Wohlgeruch, Windhauch der Seele.“

(M. Serres: Die Fünf Sinne)

Berührung bringt uns in Kontakt – mit der Welt, uns selbst und anderen. Sie ist eine materiell-physische Operation, die aber auch eine Verbindung zur Psyche und zum Fühlen unterhält. Das Berühren schillert zwischen Aktivität und Passivität, denn was ich anfasse, davon werde ich im gleichen Moment ebenso affiziert. Dabei scheint das Unmittelbarkeitsversprechen der Berührung stets uneingelöst zu bleiben, denn damit zwei Dinge sich berühren können, muss zuerst mal eine Distanz zwischen ihnen bestehen, müssen sie also verschieden und getrennt voneinander sein. Und so begehrenswert Intimität und Nähe vielleicht häufig erscheinen mögen, wollen oder sollen wir doch nicht alles anfassen. Kontakt kann auch Gefahr bedeuten: schützende Häute werden durch gewaltsame Berührung verletzt oder Körper im Kontakt mit giftigen Substanzen angesteckt.

Das verworrene Gewebe des Berührens spannt sich zwischen mannigfaltigen Phänomenen und Praktiken auf. Sich diesem denkend zu nähern, ist eine Paradoxie für sich, denn so materiell und körperlich die Berührung ist, so vergeistigt scheint uns doch das Denken, noch dazu die abstrahierende Form der Philosophie. Im Seminar versuchen wir uns daher in subtilen Denkbewegungen dem Berühren in seinen Oberflächen- sowie Tiefenstrukturen anzunähern. Grundlage dafür bilden philosophische Texte westlicher Tradition von der Antike bis in die Gegenwart. Daraus versuchen wir, im Fragenstellen und Diskutieren das Wissen, die Politik und die Ästhetik des Berührens zu heben. Ziel des Seminars ist es, gemeinsam Verständnisse eines schwer zu fassenden Begriffs zu erarbeiten, der nicht nur geisteswissenschaftliche Theorie berührt, sondern auch mit künstlerisch-gestalterischen Praktiken in Verbindung steht bzw. gebracht werden kann.

 

Literaturempfehlung: H. Sohns und J. Ungelenk (Hg.): Berühren Lesen. Berlin: August 2021.