Die Geschichte der Designdisziplin reicht noch nicht allzu weit in die Zeit zurück und doch gibt es schon bestimmte viele Erzählungen, die immer wieder in unterschiedlichen Kontexten gern wiedergegeben werden. Man denke an den Exportschlager Frankfurter Küche, “das Urmodell der modernen Einbauküche” (Germanisches Nationalmuseum). Ist sie ein formalästethisches Urmodell oder vielmehr Musterbeispiel eines wirkungsvollen und wirkmächtigen Narrativs? Ist sie Ausdruck fordistischen Effizienzdenkens oder feministischer Revolte? Moderne Einbauküche multinationaler Familien oder ein deutscher Exportschlager, der es weniger in die Wohnräume der Massen als in die Vitrinen der Eliten und der Museen geschafft hat?
Einige Personen, Ereignisse und Objekte wurden fest in das Geschichtsrepertoire des Designs eingeschrieben, während andere bislang ausgelassen wurden. Viele Aspekte und Perspektiven sind noch nicht erzählt was die Gefahr birgt, durch unreflektierte Geschichtsrezeption einen Personenkult zu pflegen und einseitige Diskurse zu pflegen, die wesentliche Aspekte von Design systematisch ausklammern und für Entpolitisierung sorgen. Design bleibt dabei hinter seinem gerne proklamierten politischen Anspruch zurück.
In diesem Seminar der Designgeschichte (Aufbaumodul) wollen wir der Frage nachgehen, ob, wie und weshalb etablierte Narrative die politischen Dimensionen von Design oft nur sehr einseitig und definitiv nicht ausreichend berücksichtigen. Dabei interessiert uns nicht nur das Gesagte, sondern auch das Ungesagte: Wurden die Perspektiven von Frauen, von People of Color oder anders marginalisierten Gruppen unberücksichtigt gelassen? Finden wir Lücken – und finden wir Gründe für diese?
Anhand des Kanons werden wir einige Meilensteine der Designgeschichte vorstellen, gemeinsam weitere sammeln und mithilfe von faktengestützter Recherche oder spekulativer Historiographie weiterschreiben. Wir werden uns mit der Verarbeitung historischer Fakten in Form von Geschichtsschreibung auseinandersetzen, um schließlich selbst zu Geschichtsschreiber*innen zu werden. Wie die Brüder Grimm wollen wir deutsche (Design-)Geschichten zusammentragen und mit einem gewissen literarischen (und intersektional-feministischen) Ehrgeiz eine Märchensammlung entstehen lassen, um sie der bisherigen Designgeschichte, in der Helden, Innovation und Fortschritt im Mittelpunkt stehen, entgegen zu setzen.