Das Corona-Virus – eine Erfindung der Pharmaindustrie, die Anschläge vom 11. September 2001 – ein konspirativer Akt der USA? Es scheint, als habe der Verschwörungsglaube Hochkonjunktur. Doch das konspirationistische Denken ist nicht neu. Spätestens seit der Antike werden Verschwörungstheorien zur Konstruktion von Feindbildern genutzt und sind Bestandteil der Herrschaftslegitimation autoritärer Regime. Verschwörungsnarrative richten sich aber auch gegen Regierungen, wie beispielsweise Behauptungen rund um das Attentat auf John F. Kennedy zeigen. Von der hasserfüllten Ideologie bis zur Skepsis gegenüber Institutionen umspannt der Begriff der Verschwörungstheorie demnach verschiedenste Erzählungen. Und auch innerhalb der Popkultur sind Verschwörungen und fiktive Realitäten beliebte Sujets (siehe Paranoia-Kino oder Alternate-History-Fiktionen).


Seit einigen Jahren tragen mediale Aufbereitung, algorithmische Vorschlagssysteme und die automatisierte Kuration von Inhalten digitaler Plattformen maßgeblich zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen bei. Mit dem Wegfall klassischer Gatekeeper durch das Internet kursieren Fehlinformationen schneller und unkontrollierter. In sozialen Netzwerken gewinnt die affektive Adressierung der Nutzer*innen die Oberhand und an die Stelle kollektiver Formen der Emotionskontrolle treten algorithmisch-begünstigte Formen der Affektintensivierung. Nicht selten befeuern massenhaft eingesetzte Bots mit falschen Nachrichten und Verschwörungen Shitstorms und Empörungskaskaden. Und nicht erst seit der Präsidentschaft von Donald Trump ist evident, dass so genannte “alternative Fakten” ein wirkmächtiges Instrument der politischen Kommunikation sein können.


Die Beschäftigung mit dem Verschwörungsglauben ist daher zum einen relevant, weil dieser verheerende individuelle und gesellschaftliche Auswirkungen haben kann, zum anderen verrät er uns aber auch etwas über Menschen und mediale Mechanismen. So ist die Verschwörung zunächst einmal ein spezifisches narratives Muster, das Menschen manchmal nutzen, um sich Ereignisse zu erklären. Die Annahme einer geheimen Zusammenkunft sagt daher erst einmal nichts über den Wahrheitsgehalt einer Aussage aus. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei allerdings nicht um widerlegbare “Theorien” im strengen Sinne, sondern vielmehr um zu prüfende Behauptungen von Ereignissen. Neben epistemischen Motiven scheint das Gefühl des Kontrollverlusts und der Wunsch nach sozialer Inklusion unsere Überzeugungen zu prägen. Kann man aber eine klare Linie ziehen zwischen Fakt und Fake? Welche Bedingungen legen wir an Objektivität an? Lassen sich individuelle Tendenzen zum Verschwörungsglauben differenziert betrachten - jenseits einer Einteilung in die “Vernünftigen” auf der einen und die “Verschwörungstheoretiker*innen” auf der anderen Seite? 

Im Seminar nähern wir uns dem Thema des Verschwörungsglaubens aus verschiedenen Blickwinkeln: Wir fragen nach den Funktionen von Verschwörungsnarrativen, sowohl für das Individuum als auch für Produzent*innen und Gesellschaft, analysieren die Entstehungsgeschichte und Struktur moderner Verschwörungserzählungen, ihre mediale Bedingtheit sowie ihre Rolle als (pop)-kulturelles Sujet.

Die Veranstaltung ist eine Gemeinschaftsproduktion von Psychologie der Gestaltung (Vertr.-Prof. Claudia Muth) und Designtheorie (Prof. Pablo Abend).

Empfohlene Literatur zur Einführung

  • Harris, Keith (2018): What's Epistemically Wrong with Conspiracy Theorising? In: Royal Institute of Philosophy Supplement, 84, S. 235-257. doi: 10.1017/S1358246118000619
  • Lamberty, Pia (2022): Die Ursachen des Glaubens an Verschwörungserzählungen und Empfehlungen für eine gelungene Risikokommunikation im Gesundheitswesen. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 65(5), S. 537–544. doi: 10.1007/s00103-022-03524-z
  • Latour, Bruno (2002): Überraschungsmomente des Handelns. Fakten, Fetische und Faitiches. In: Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Erste Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 327–359.
  • Peters, Benjamin (2018): Vorsicht vor der Theorie der Verschwörungstheorie! In: Zeitschrift für Medienwissenschaft (19), S. 21–28. https://doi.org/10.14361/zfmw-2018-100205
  • Raab, Marius Hans / Auer, Nikolas / Ortlieb, Stefan / Carbon, Claus-Christian (2013): The Sarrazin effect: The presence of absurd statements in conspiracy theories makes canonical information less plausible. In: Frontiers in Psychology, 4, 453. doi: 10.3389/fpsyg.2013.00453