Auf der Suche nach bedeutungshaften Strukturen folgen wir einer Tendenz, die Ernst Gombrich als „Sense of Order“ bezeichnete. Wahrnehmung ist demnach ein aktiver Prozess der Organisation und Sinnstiftung. Auf diese Weise ermöglicht sie adäquate Handlungen, um den Organismus lebensfähig zu halten — mit anderen Worten: „I order, therefore I am“ (Pepperell, 2003). Doch so, wie wir stets ausgleichende Mikrobewegungen nutzen, um „still“ zu stehen, ist auch die Organisation von Strukturen in bedeutungshafte Einheiten ein Resultat dynamischer und körperlicher Vorgänge: Wahrnehmung ist keine Reiz-Abbildung, sondern ein wechselseitiger Prozess zwischen Organismus und Umwelt. Wahrgenommene Ordnung zeichnet sich somit immer durch eine fragile Stabilität aus.
In diesem Seminar untersuchen wir diese Fragilität. Wir erforschen das Wesen und die sinnliche Qualität von Ordnung, Gestalt und Unordnung, finden Beispiele für geordneten Wandel und sich wandelnde Ordnung und ergründen das Potenzial der Gewohnheit. Wann erscheint etwas als geordnet, wann als ungeordnet? In welchen Kontexten regt Unordnung eine belohnende Sinnstiftung an? Wie lässt sich Komplexität mit Ordnung verknüpfen und kann ein System flexibel und stabil zugleich sein?
Diese Untersuchungen laden dazu ein, Gestaltung nicht als Strukturierung von Information, Daten oder Materialien zu begreifen, sondern als Prägung der Interaktion zwischen Menschen und ihrer (gestalteten) Umgebung. Zugleich gewährt das Thema bei Interesse Anknüpfungspunkte zu individuellen Themen aus den Bereichen Ökologie und Gesellschaft (Selbstorganisation, Diversität, etc.).
Literaturempfehlungen (weitere folgen während der Veranstaltung):
Arnheim, R. (1971). Entropie und Kunst: Ein Versuch über Unordnung und Ordnung. Köln: Dumont.
Clark, A. (2016). Surfing Uncertainty — Prediction, Action and the Embodied Mind. Oxford, New York: Oxford University Press.
Dennett, D. (1991). Real Patterns. The Journal of Philosophy, 88(1), 27–51.
Gombrich, E. H. (1979). The Sense of Order. A Study in the Psychology of Decorative Art. Oxford: Phaidon.
Humphreys, P. (2016). Emergence. New York: Oxford University Press.
Küppers, G. & Paslack, R. (1996). Chaos und Ordnung. Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft. Stuttgart: Reclam.
Pinna, B. (2010). New Gestalt Principles of Perceptual Organization: An Extension from Grouping to Shape and Meaning. Gestalt Theory, 32(1), 11–78.
Shanken, E. A. (2015). Systems. Cambridge, MA: MIT Press.