Das Kategorisieren und Indexieren sind grundlegende Praktiken der Wissenschaft. So versucht die Biologie seit ihren Anfängen, die gesamte Flora und Fauna des Planeten in Taxonomien zu fassen, zunächst anhand von Ähnlichkeitsbeziehungen, später auf Basis von möglichst eindeutigen „Identitäten und Differenzen“ (Foucault 1974: 81). Fixe Systematiken, wie die Systema Naturae von Carl von Linné, die jedem Lebewesen eine präzise Stelle in den "Naturreichen" zuweist, oder die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ als Sammlung und Nachschlagewerk aller erdenklich möglichen medizinischen Diagnosen, versuchen, große Bereiche des Lebens möglichst vollumfänglich zu erfassen.
Doch lassen sich die Dinge des Alltags ebenso erschöpfend kategorisieren wie Krankheiten oder die Tier- und Planzenwelt? Diese Frage beschäftigte Ende der 1960er Jean Baudrillard, der sich und den Leser*innen die Frage stellt: „Vermag man die unendliche Welt der Gegenstände genau so in Familien und Klassen einzuteilen wie das Pflanzen- und Tierreich mit seinen tropischen und glazialen Gattungen, mit seinen Mutationen und aussterbenden Arten?“ (Baudrillard 2007, S. 9). Für die Gegenwart hat Baudrillard da so seine Zweifel. Während früher die praktischen und technischen Gegenstände noch in einer erschöpfenden Übersicht dargestellt werden konnten, hätte die Anzahl der Gegenstände des täglichen Gebrauchs derart zugenommen, dass sie unmöglich mehr erfasst werden könnten. Zwar finden sich im Design zahlreiche Ordnungssysteme wieder, etwa in DIN-Normen, im Typenbau oder bei Softwareschnittstellen. Aber für Baudrillards Verbraucher bzw. Nutzersicht seien die anzulegenden Kriterien zur Kategorisierung von Alltagsdingen ohnehin unklar: Solle man die Gegenstände nach ihrer Größe ordnen, nach ihrer Funktionalität, ihrer Handhabung, ihrer Formung, ihrer Haltbarkeit, ihrer Dauer, oder doch nach dem Grad ihrer Exklusivität?
Klassifizieren als Voraussetzung der Analyse und Differenzierung ist eine Basisoperation sowohl der Wissenschaften als auch der gestalterischen Praxis. Doch Klassifizieren ist eben auch menschlich (Bowker/Star 2000). Während wir uns durch die Welt bewegen nehmen wir andauernd Kategorisierungen vor. Halbwegs zielgerichtetes Alltagshandeln beinhaltet das Sortieren Dinge. Wir ordnen unsere Werkzeuge, sortieren unsere Daten, schätzen Menschen ein. Klassifikation schafft Ordnung durch Komplexitätsreduktion. Klassifizieren hilft dabei, Zusammenhänge zu erkennen und sich durch soziale Räume zu bewegen. Sie kann aber auch Grenzziehungen und Abgrenzungen manifestieren. Klassifikationssysteme wirken zurück, bringen Subjekte hervor. Sie wirken an der Subjektivierung diejenigen mit, die sie zu Kategorisierungen suchen, sei es durch die Diagnostik auf Basis eines Klassifikationssystems oder durch Grenzziehung am Reisbrett.
Das Seminar versucht nicht, einen erschöpfenden Überblick über sämtliche Ordnungssysteme zu geben. Statt um einzelne Ordnungssysteme werden die Schlaglichter sowieso eher auf einzelne Praktiken der Kategorisierung gelegt.
Literatur zur Einführung
- Bowker, G. C., and S. L. Star. 1999. Sorting things out: Classification and its consequences. Inside technology. Cambridge, Mass. MIT Press.
- Foucault, M. 1974. Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Vol. 96 of Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.