Wir begeben uns auf Feldforschung in den Chemiepark Bitterfeld-Wolfen, unsere Methode ist das Mapping. Doch anstatt das Areal exakt zu vermessen, wollen wir es erkunden, um zu schauen, was noch da ist, und um nachzuspüren, was dort war. Es kommt einer Tiefenbohrung gleich: Welche Schichten lassen sich freilegen? Wie hängen Geographie und Biographie zusammen? Mapping bedeutet in diesem Fall also auch, das Abwesende erfahrbar zu machen, wobei Abwesenheit dabei ganz unterschiedliche gefasst werden kann – als das Unsichtbare, Unhörbare, Unriechbare, Unberührbare. All das also, was sich der direkten Aufmerksamkeit entzieht, aber dennoch anwesend ist. So ist beispielsweise das ins Grundwasser einsickernde Trichlorethylen zwar unsichtbar, aber als Altlast doch ein allgegenwärtiges Problem. Weithin sichtbar sind hingegen die Fabrikruinen und die Rohrleitungen und Rohrbrücken, während die Erinnerungen Jener, die hier gelebt und gearbeitet haben, immer mehr verblassen. Der Strukturwandel ist hier in vollem Gange. Wie in einem Brennglas lassen sich in der Region weltweite Transformationen nachzeichnen und Verbindungen vom Lokalen zum Globalen ziehen. Alte Industrien verschwinden und die Suche nach innovativen Zukunftstechnologien hat längst begonnen. Spätestens hier wird deutlich: Es geht nicht nur um Bitterfeld. Es geht um einen weltweit sich vollziehenden Strukturwandel altindustrieller Regionen, wie er sich an vielen Orten in (westlichen) Industriestaaten vollzieht oder bereits vollzogen hat: Duisburg, Pittsburgh, Tampere oder Detroit. Bitterfeld ist überall und in seiner Spezifik doch einzigartig. Wir wollen von dort etwas mitnehmen: Eindrücke, Materialproben, Bilder, Notizen, Filme oder Tonaufzeichnungen. Die Daten und Materialien sollen ausgebreitet, gesichtet, geordnet, umgeordnet, kombiniert, gedreht und gewendet werden. Was gibt sich zu erkennen? Was sträubt sich? Wo wollen und müssen wir tiefer Graben?

Das Seminar möchte die bisherige Beschäftigung mit Bitterfeld fortführen und das Interesse bündeln. Insbesondere im letzten Semester sind im Rahmen der Kompaktwoche „Bitte – Können Sie uns mal helfen?“ (von Veronica Biermann, Michaela Anzer und Pablo Abend) sowie im Seminar „Unkontrollierbares Gestalten: Kontamination, Sanierung, Pflege“ (von Anna Zett), Projekte, Ideen und Konzepte entstanden, die im Rahmen des Seminars weitergesponnen, vertieft und ausgearbeitet werden können. Es ist aber auch möglich, sich komplett unvoreingenommen auf den Ort einzulassen und mit etwas ganz Neuem zu beginnen! Am Ende sollen Exponate entstehen – Diskursobjekte – mit denen und über die wir ins Gespräch kommen. Es ist geplant, eine Auswahl der entstandenen Arbeiten am vom Kulturpark e.V. ausgerichteten Festival „Osten – Neue Bitterfelder Wege“ auszustellen, das im Sommer 2022 stattfinden wird: https://kultur-park.de/.