... and I´ve seen it before
... and I´l see it again
... yes I´ve seen it before
... just little bits of history repeating (Propellerheads feat. Shirley Bassey)
1981 wurde auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin die Compact Disc vorgestellt, die in kürzester Zeit der Schallplatte als dominantes Musikspeichermedium den Rang ablief. Allerdings dauerte die Vorherrschaft der CD nur etwa 20 Jahre, bis die MP3 auch diesen materiellen Träger überflüssig machte. Heute werden kaum noch MP3s gesammelt. Stattdessen streamt man Musik direkt aus der Cloud digitaler Dienste. So oder so ähnlich lassen sich viele (Medien-)Technikgeschichten erzählen: Alte Technologien werden durch neue Verfahren abgelöst, wobei im Zeitalter der Digitalität spezialisierte materielle Trägermedien kaum noch eine Rolle spielen. Doch das wäre zu einfach. Denn – um beim Beispiel von Tonträgern zu bleiben – nicht nur DJs hielten der Schallplatte die Treue, auch in vielen Privathaushalten finden sich heute wieder Plattenspieler und die Absatzzahlen von Vinyl-Tonträgern steigen stetig. Doch nicht nur auf technischer Ebene, sondern auch auf der Inhalts- und Formebene sind Rückgriffe auf die Vergangenheit zu beobachten. Nach den 1980ern wird seit einiger Zeit die (Pop-)Kultur der 1990er zelebriert, die auf Partys musikalisch und im Alltag modisch aufleben. Im Automobildesign werden Karosserieformen der 1950er und 1960er Jahre zitiert und Klassiker wie der Fiat 500 oder der VW Käfer mit neuer Technik wieder aufgesetzt. Im Bereich des Gamings offenbart die Pixelästhetik populärer Titel wie Minecraft einen zum Hyperrealismus parallelen Trend, der auf die Anfangszeit der Videospiele rekurriert. Besonders in den Nullerjahren war eine regelrechte Retromanie (Reynolds 2011) zu spüren, die sich in der Reaktualisierung vergangener Formsprachen und Praktiken zeigte. Der Rückbezug hat aber auch eine politische Seite. Wenn die Vergangenheit als gute alte Zeit verklärt wird und über eine Retroästhetik auch alte gesellschaftliche Muster zurückgebracht werden sollen, offenbart sich ein idealistischer und regressiver Charakter der Retromanie: Die Vergangenheit soll als Utopie erstrahlen, wodurch die Realität historischer Konflikte zur Hintergrundkulisse verflacht oder gleich ganz ausgeblendet werden. Nostalgie wird so Bestandteil einer reaktionären Politik.
Retromanie und Nostalgie sind auf den ersten Blick eng miteinander verbunden, allein weil die Erinnerung an die eigene Jugend die Faszination mit der Vergangenheit zu erklären scheint. Doch schaut man genauer, werden die Zusammenhänge zwischen individuellem Nacherleben und kollektiver Aneignung komplexer. Wenn Teenager ihre ersten Spielerlebnisse mit Games haben, die andere an längst vergangene Zeiten erinnern, wenn Streaming Orte und Zeiten aufleben lassen, mit denen die Zielgruppe keine biographische Überschneidung haben kann, dann stellen sich grundlegende Verhältnisfragen neu. Wann wird Nostalgie zu Retromanie? Sind Retrotrends planbar? Nach welchen Gesetzen funktioniert der Rückbezug?
Das Seminar untersucht das Verhältnis von subjektiven Aneignungsprozessen, individuellen Medienbiographien und kollektiv ausgelebten Retrotrends anhand ausgewählter Beispiele aus Design und Popkultur.
Literatur zur Einführung
- Boym, Svetlana (2001) The Future of Nostalgia. New York: Basic Books/Perseus Books Group.
- Fisher, Mark (2014) Ghosts of my life. Writings on depression, hauntology and lost futures. Winchester, UK: Zero books.
- Reynolds, Simon (2011) Retromania: Pop Culture’s Addiction to Its Own Past. London: Faber and Faber.