Miriam Lahusen, Andrea Fernandez
Zusatzangebote Design (außerhalb des Studienplans), Extramodul Designtheorie, Seminar (Extramodul), Sommersemester 2022, Kursbeginn: 21.03.2022

Dass wir unsere Teamfähigkeit im Lebenslauf hervorheben, gehört heute zum guten Ton. Teamwork ist alleine schon wegen der Interdisziplinarität aus dem Design nicht wegzudenken. Dass hinter dem längst überholten Autorendesign in der Regel ein gut funktionierendes Team steht, ist auch nicht wirklich neu. Doch Teamwork, trotz all der positiven Konnotation birgt allerhand Reibungspunkte und dient im schlimmsten Fall auch nur dazu, ein gut funktionierendes Rädchen einer großen Designagentur im konkurrenzgetriebenen Wettbewerb des Marktes zu werden.

Wer unabhängig bleiben und dennoch nicht alle Last der Selbstständigkeit tragen will, schlißt sich mit Gleichgesinnten zusammen. Von Co-Working Space bis Genossenschaft können diese Zusammenschlüsse sehr unterschiedlicher Natur sein. Welche Gründe und Motivationen verbergen sich dahinter und welche Probleme und Schwierigkeiten bringen sie mit sich? Wie verändert kollektives Arbeiten soziale Rollen im Design? Welche überkommenen Narrative werden verdrängt und welche neuen entstehen? Wie bemisst sich der Wert gemeinsamer Gestaltungsprozesse und wie lassen sich Urheber*innenrechte und Autor*innenschaften teilen? Wie lassen sich Interessen vertreten und soziale Absicherungen gestalten?

In diesem Seminar wollen wir uns Konzepte von Teamwork, Arbeiten im Kollektiv und New Work näher anschauen. Dabei spielen Fragen der Autor*innenschaft ebenso eine Rolle, wie Arbeitsteilung, Konfliktmanagement und nicht zu verachten: Geld! Ein Thema, das nicht nur tabubehaftet ist, sondern auch aufgeladen mit den unterschiedlichsten Emotionen wie Ängsten, Sorgen und Scham. Die Auseinandersetzung mit den Aspekten des kollektiven Wirtschaftens kann schwierig, aber auch selbstermächtigend und befreiend sein.

Beginnen wollen wir das Seminar mit einem zweitägigen Workshop mit der argentinischen Künstlerin Andrea Fernandez, die zu Gast sein wird, um über ihre Arbeit mit dem Kollektiv der der Weberinnen des Volkes der Wichí Thañí/Viene del Monte und ihre Kooperation mit dem Künstler Olaf Holzapfel zu sprechen. Dieses Kollektiv besteht aus mehreren Gruppen von Frauen aus verschiedenen Gemeinden im Norden der argentinischen Provinz Salta, an der Grenze zu Paraguay und Bolivien, an den Ufern des Flusses Pilcomayo, im sogenannten Gran Chaco.

Aus einer staatlich initiierten Ausbildung in Wertschöpfung und Innovation, um indigenen Frauen bei der Vermarktung ihrer handgefertigten Textilien zu unterstützen gründeten über 200 Weberinnen unterschiedlichen Alters das Thañí-Kollektiv. Gemeinsam schickten sie ihre Webarbeiten an Kunsthandwerksmärkte in ganz Argentiniens, vertreten durch 2 oder 3 von ihnen, die zugleich für die Verwaltung des Geldes aus dem Verkauf zuständig waren.

2019 begann diese Gruppe über eine Einladung der Leiterin der ifa-Galerie Berlin Inka Gressel, sich mit der zeitgenössischen Kunstwelt zu vernetzen. Die Verbindung mit dem Kunstsystem und seiner Wertkonstruktion eröffnete neue organisatorische Herausforderungen, neue wirtschaftliche Perspektiven und neue Möglichkeiten bei der kreativen Entwicklung und Gestaltung der Bedeutung dieser Bilder, die von den Frauen gewebt werden. Traditionell dienten die Stoffe  zunächst der Aufbewahrung und dem Transport von Dingen. Heute werden die Stoffe zur ästhetischen Manifestation des Widerstands indigener Völker der Region.

2021 startete das Projekt "Los colores del monte" unterstützt vom Goethe-Institut: eine Kooperation des Kollektives mit dem deutschen Künstler Olaf Holzapfel, um seine Entwürfe mit den Entwürfen der Wichí-Frauen (einer kleinen Gruppe, die Teil des Thañí-Kollektivs ist) in Dialog zu bringen. Die Zusammenarbeit mit einem etablierten Künstler stellt das Kollektiv vor neue Herausforderungen und Möglichkeiten, da sie die Weberinnen ermutigt neue formale Aspekte des Bildes in Spannung zur Wiederholung ihrer angestammten Bilder zu erproben, die Abstraktionen der Natur zu verdichten und sich selbst als Künstlerinnen zu betrachten.

Ausgehend von dem Kooperationsprojekt „Village“, das im letzten Semester im Textildesign in Auseinandersetzung mit dem Thani-Kollektiv stattfand, wollen wir über die Arbeit des Frauenkollektivs und seiner politische Agenda ebenso sprechen wie über oft auftretende Hindernisse und die mühsame Suche nach Kompromissen.

In den letzten drei Tagen wollen wir uns Konzepte des kollektiven Wirtschaftens im Design ansehen. Nicht aus betriebswirtschaftlicher Perspektive, sondern in Hinblick auf die weichen Faktoren: Welche Social Skills begünstigen "gutes Verhandeln“ und welche Strukturen bräuchten wir, um Wertschöpfung und Wertschätzung von Selbstvermarktung zu entkoppeln? Wie wirken wir dem Genderpaygap entgegen und wie schaffen wir faire Zugangsbedingungen? Wie funktionieren die Narrative der Designgeschichte und wie wollen wir sie in Zukunft schreiben?

Am Ende der Woche wollen wir eine Satzung verfassen, die die Bedingungen unserer geistigen Arbeit festhalten soll. Dabei werden wir um geistiges Eigentum und Urheber*innenschaft ebenso feilschen wie um Stundenlöhne, Freizeiten, Umgangsformen und Konventionen.

Gutes Design hat seinen Preis. Wir wollen ihn ermitteln.