Das Ausstellungsprojekt RE:ENCHANTED BODIES ist das Masterprojekt von Hanna Thuma und Janika Jähnisch und fand vom 4. bis 13. Mai im Stadtcenter ROLLTREPPE Halle statt.
„Warum fürchten wir den weiblichen Körper so?“ (Penny 2007, S.7), fragt Autorin und Feministin Laurie Penny einleitend in ihrem Essay Fleischmarkt. Ritualisierte Akte von Konsum und Selbstdisziplinierung haben eine weibliche Geschlechtskonformität der Kaufkraft, Reproduktionsfähigkeit sowie unbezahlten Arbeit durchgesetzt, die den gefürchteten Körper in seiner Wirkmächtigkeit eingrenzen und so das Überleben unserer modernen Ökonomie sichern. Dabei wird der weibliche Körper zur Identitätsquelle und zum Gefängnis gleichermaßen, der niemals dem Individuum selbst gehören kann. Wir wachsen auf mit der Angst vor einem Körper, der uns nicht gehört, werden fremdbestimmt durch die Durchsetzung von Schönheitsidealen als Bedingung für gesellschaftliche Akzeptanz, die Kriminalisierung von Abtreibungen bis hin zur gezielten und extremsten Gewaltverübung von Femiziden (Diana Russel).
Allein 2020 meldete das Bundeskriminalamt 139 getötete Frauen durch ihren (Ex-)Partner, sowie 319 Tötungsversuche in der Bundesrepublik. Für das laufende Kalenderjahr verzeichnet die investigative Gruppe femizide_stoppen schon 54 Femizide in Deutschland (vgl. femizide_stoppen, Post vom 22.6.2023). Jeden dritten Tag wird in Deutschland mutmaßlich eine Frau getötet, jeden zweiten der Versuch unternommen (Vgl. Cruschwitz/ Haentjes 2021. S.11). Mit dem immer noch ungeklärten Fall um Mariya N., die 2014 beim Joggen vergewaltigt und anschließend erwürgt wurde und dem rassistischen, antisemitischen und antifeministischen Anschlag vom 9. Oktober, dessen Täter in der misogynen Incel Szene aktiv ist, sind nur zwei extreme Fälle zu nennen, die zeigen, dass das Problem auch in Halle allgegenwärtig ist. Trotzdem wird kaum etwas dagegen unternommen, denn das Problem ist strukturell, wie eine im Juni 2023 veröffentlichten Studie von Plan International zeigt: Demnach sieht jeder dritte Mann Gewalt als legitimes Mittel gegen weibliche Körper an (Vgl. Plan International 2023).
Die Repression des weiblichen Körpers ist historisch gewachsen. Folgt man der italienischen Autorin Silvia Federici, geht diese mit der Enteignung und Privatisierung gemeinschaftlich genutzten Bodens zugunsten der herrschenden Klasse im Spätmittelalter einher, die dem Kapitalismus den Weg ebnete. Mit der großen Hexenjagd erreichte die gewaltvolle Umsetzung einer neuen patriarchalen Ordnung ihren Höhepunkt zwischen 1580 und 1630, durch die weibliche Körper, ihre Arbeit und ihre reproduktiven Vermögen unter staatliche Kontrolle gestellt und in ökonomische Ressourcen verwandelt wurden (Silvia Federici 2017, S. 208). Diese staatliche Terrorkampagne war weniger an der Bestrafung bestimmter Verstöße, als an der Ausmerzung verallgemeinerter weiblicher Verhaltensweisen interessiert.
Gewalt und der Kampf gegen den rebellischen Körper werden die wichtigsten Mittel zur Durchsetzung kapitalistischer Denkweisen und Rationalisierung gesellschaftlicher Organisation, was der Soziologe Max Weber als Entzauberung der Welt beschreibt. Dagegen stellt Federici die Forderung nach der Wiederverzauberung der Welt (Re-Enchanting the World). Sie beutet Widerstand gegen Ausbeutung, kollektive Kämpfe der Wiederaneignung, eine Neubewertung der reproduktiven Arbeit und eine Politik der Fürsorge, in der Menschen in der Gemeinschaft über das individuelle Leben hinauswachsen. Die Wiederverzauberung führt zusammen, „was der Kapitalismus voneinander getrennt hat: Unsere Beziehung zur Natur, zu anderen Menschen und zu unserem eigenen Körper.” (Federici 2021, S. 274)
Das Projekt will aus diesen patriarchalen Logiken ausbrechen und orientiert sich in seiner Praxis des Kuratierens an der Theorie der Kunstwissenschaftlerin Elke Krasny. In ihrer 2022 erschienenen Schrift Das moderne Museum als Anthropozän-Institution appelliert Krasny für die Methode des feministischen Kuratierens als Trauerarbeit und Zukunftsfürsorge. So geht nach Krasny die Etablierung des Konzept des modernen Museums mit der Durchsetzung des Anthropozäns einher. Das Zeitalter des Anthropozäns, in dem der Mensch sich zum zentralen Einflussfaktor ökologischer Vorgänge in Folge der kapitalistischen Industrialisierung gemacht hat, ist nach Krasny der Moment, indem sich durch die radikale Spaltung von Natur und Kultur die binäre Ideologie der weißen männlichen Vorherrschaft manifestiert. An diesem Punkt lassen sich die Theorien von Krasny und Frederici zusammendenken: Die von Frederici analysierten Entwicklungen vom Feudalismus zum Kapitalismus können als Einleitung des von Krasny beschrieben Anthropozäns gesehen werden. Das in diesem Zeitalter entstandene Museum ist daher „als Institution zu begreifen, in der sich die Wissensformen, die zur massenhaften Auslöschung von Leben geführt haben, artikulieren und als kulturelles Erbe gesammelt und gespeichert sind.“ Die auf Sexismus und Rassismus gründende Institution dient als Wissensspeicher und Transfermedium der binären Denkweise des Enlightenment Man (Anna Tsing), in der Wissen und Kultur von Frauen und nicht-europäischen Menschen systematisch ausgeschrieben wurde.
Was sagt uns diese historische Entwicklung kapitalistischer Körperpolitik über unsere Gegenwart? Wem gehören unsere Körper? Wie kann unser Körper als Identitätsquelle genutzt werden, ohne sich wie ein Gefängnis anzufühlen? Wie kann unser Körper Teil einer Kunstausstellung sein und dabei lebendig bleiben?
RE:ENCHANTED BODIES ist ein Appell der Wiederaneignung, ein Fortschreiben der von Federici angestrebten „Geschichte des Widerstandes“, ein Imaginieren einer kollektiven „Sorge für die Zukunft“ nach Elke Krasny, die von einer „Kultur des Lebendigen“ träumt.
Zum Zeitpunkt der Museumsnacht Halle/Leipzig 2023 soll RE:ENCHANTED BODIES im Herzen Halles als temporärer Kunstraum und kuratorische Intervention gleichermaßen eine Gegenposition zur etablierten Institution des Museum darstellen. Mit künstlerischen Positionen und Aktionen will das Ausstellungsprojekt an der Schnittstelle von politischem Aktivismus und künstlerischer Praxis die Hierarchien der Geschlechter im Dienst des kapitalistischen Herrschaftssystems sichtbar machen und die historisch gewachsenen Auswirkungen auf den weiblichen Körper in der Gegenwart verorten. Junge, aufstrebende Künstler*innen treten hierbei mit verschiedenen politischen Kollektiven in den Dialog, die ihre empirischen Erfahrungen und Interesse an der Sichtbarmachung der Thematik eint. Die Ausstellung mit einer Laufzeit über die beiden ersten Wochenenden im Mai soll jeweils durch einen Aktionstag mit Veranstaltungen ergänzt werden.
Dem Projekt liegt ein intersektional denkender Feminismus zugrunde, der mit einem ausdifferenzierten Begriff von Weiblichkeit und Gender arbeitet. Wir streben an, das binäre Denken in Begriffspaaren aufzubrechen und Weiblichkeit unabhängig vom biologischen Geschlecht zu begreifen. Denn „[w]ir entdecken, dass Geschlechterhierarchien stets im Dienst eines Herrschaftsprojektes stehen, das sich nur insofern zu verstetigen vermag, als es die zu Beherrschenden stets aufs Neue spaltet“ (Federici 2021, S. 9).