„Wenn ich wieder klein bin"

„Wenn ich wieder klein bin“


„Wenn ich wieder klein bin“  ist der Titel des praktischen Teils meiner Diplomarbeit und ich habe ihn mir entliehen, von Janusz Korczak, der sein Leben den Kindern widmete . Korczak erinnert sich in der gleichnamigen Erzählung an seine Träume, die er als kleiner Junge vom Erwachsensein hatte. Wie farbenfroh und voller Möglichkeiten die Zukunft ihm damals erschien. Er malte sich alles aufs Haar aus. Was aber ist ihm geblieben? Enttäuscht und traurig blickt er nun als Erwachsener auf die Träume von damals zurück, die Eltern um die sie sich rankten, hat er nicht mehr. Nun liegt er unglücklich in seinem Bett und findet keinen Schlaf. Da plötzlich erscheint ein Zwerg auf seinem Kopfkissen und leuchtet ihm mit einer Funzel ins Gesicht. Er habe ihn gerufen in seiner Sehnsucht und hätte nun einen Wunsch frei. Korzcak überlegt angestrengt was er sich wünschen sollte, und als sich der Zwerg schon wieder zum Gehen wendet platzt es aus ihm heraus:
„Ich will wieder ein Kind sein.“
So geschah es, Korzcak erwacht als ein Schuljunge und hat wieder eine Mutter die ihn weckt. Er durchläuft von hier an eine Transformation mit der Gefühlswelt und Wahrnehmung eines Kindes und dem Wissen eines gelebten Lebens, zu einem Mischwesen in Kinderhaut. Auf dem Nachhauseweg vom ersten Schultag, führt er folgendes Gespräch mit seinem Schulkameraden:
„Möchtest du ein Bär sein?“
„Und wie!“
„Aber Bären sind tolpatschig.“
„Sie sind überhaupt nicht tolpatschig; das scheint nur so. Aber ich möchte lieber ein Adler sein. Ich würde mich auf den höchsten Felsgipfel hinaufschwingen, höher als die Wolken. Einsam und stolz stände ich da.“
Es ist besser, Flügel zu haben, als mit dem Flugzeug zu fliegen. Immer das Benzin, und das Flugzeug kann auch einmal kaputt gehen, man braucht Flugzeughallen, und man kann nicht überall landen; man muß es reinigen, muß einen langen Anlauf nehmen. Die Flügel dagegen kann man einziehen, wenn man sie nicht mehr braucht und fertig. Wenn die Menschen Flügel hätten, müßte die Kleidung anders sein. Die Bluse hätte hinten zwei Öffnungen, und man würde die Flügel entweder außen oder unter der Jacke tragen.“
Was wäre denn nun wenn ich wieder klein bin? Eine sonderbare Frage. Ist es nicht so, dass wir uns wie der kleine Korzcak als Kind in allen Farben ausgemalt haben, wie es sein wird groß zu sein, dass wir die Tage zum nächsten Geburtstag zählten, nicht nur der Geschenke wegen, sondern in der insgeheimen Hoffnung dann ein Stück mehr der Ohnmacht zu entkommen?
Dagegen werden die Leichtigkeit der Glieder, der Duft von frisch gefallenem Regen, die Freude über den Schnee oder über ein schön entfaltetes Spiel, meist erst als Erwachsener als positive Schlüsselreize der Kindheit erkannt. Man nimmt diese Ungetrübtheiten als Kind viel mehr als gegeben hin und kann sich nicht vorstellen sie irgendwann einzubüßen. All die Vorzüge, welche man als Kind genossen hat, erbleichen angesichts des Wunsches dem Kleinsein zu entwachsen.

Es ist eine gegensätzliche Sehnsucht, welche die Kinderwelt mit der Erwachsenenwelt verbindet, dieselbe Sehnsucht, die den Zwerg in Korczaks Erzählung anrief, und der die Möglichkeit durch Zauberhand schuf, beides zu sein, Kind und Erwachsener zugleich. Der Zauber des Zwergs ist ähnlich dem Zauber den die Kunst vollbringen kann, wenn sie zu einem autonomen Gegenüber des Künstlers wird. Dann fühlt es sich vielleicht zerissen an, manchmal auch bauschig aber nicht ohnmächtig. Wie die Jugend steht man als Künstler zwischen den Welten, man sieht gestochen scharf wie ein Adler, in überdrehten Farben und es überkommt einen dann manchmal diese Verzweiflung, weil es nicht so recht zusammen will, das kindlich Erträumte und das Leben. Also ist die Kindheit und Jugend eine Zeit, die wahrhaftig viel Brennstoff für die künstlerische Auseinandersetzungen bietet, und aus der auch meine Arbeit Energie schöpft.
Da wir alle einmal ein Kind waren, ist die künstlerische Beschäftigung mit dem Thema Kindheit gleichzeitig persönlich wie auch makroskopisch universell zugänglich. Mir erschliesst sich noch lange nicht die ganze Bandbreite der Thematik, da Kindheit als primäre Strukturgebung, als Prägungsphase und Vorbereitung auf das Leben eigentlich alle menschlichen Grundthemen in sich birgt. Oft begegnet man der Angst und dem Unaushaltbarem, der Ohnmacht, nicht zuletzt auch dem Tod. Das Thema Tod schließt sich eigentlich direkt an, weil es dem Streben im Leben, dem Wachsenden ein Ziel oder einen Rahmen gibt. Mir scheint als greifen die Kontrahenten Kindheit und Tod, Aktivität und Ohnmacht fortwärend ineinander, als seien sie Geschwister.




„Die Welt ist hart und unnachgiebig. Ich fiehl hin, stieß gegen die Wand, gegen das Fensterbrett, gegen den Schrank, den Tisch, gegen die Kante, gegen die Ecke- es schmerzt, manchmal schmerzt es sehr. Und plötzlich bedeckte der liebe Herrgott für uns Kinder die Welt mit einem weißen Teppich, wie ein Vogel, der für seine Jungen das Nest mit Federn auspolstert. Grünes Gras gibt es im Winter nicht, und es wird nicht so schnell kommen. Und wenn es da ist, dann wird es umzäunt sein, und man wird es nicht betreten dürfen. Mit dem Schnee dagegen darf man machen was man will.“ 2
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2  Janusz Korczak: Wenn ich wieder klein bin. S.70/71.

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(Zum Wachsrelief:)

Die Mädchen kommen aus einer vergessenen, alten Welt.
Mit Händen Grabschaufeln gleich, halten sie den stolzen Maulwurf auf ihrem Schoß.
Er nimmt ihnen die lähmende Angst vor der Dunkelheit.
Desnachts, wenn sie herabsteigen in seinen unterirdischen Pallast,
erstrahlen ihre Augen den Bau, als sei er das Himmelreich.



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„Die Hausmeister werden den Schnee an beiden Straßenseiten zusammenfegen; wenn du da hineinspringst, watest du bis zu den Knien in den weißen Daunen. (...) Und die Schlittschuh; wenn man schon nicht zwei bekommen kann, dann wenigstens einen. Man fühlt sich wie eine Waise ohne Schlittschuh und Schlitten.“ 3


3  Janusz Korczak: Wenn ich wieder klein bin. S.43.

(Zum Kinderzimmer:)

alles wird kleiner

mit der zeit
geraten die puppen
in fleisch und blut
und schauen unverwandt
sie fragen nichts
schlafen sie?

ich trenne ihnen die köpfe ab
die naht am kragen
will wissen
was darunter ist
keine frage
ein hohlraum.

die turnübung misslingt
ich gleite aus
und falle aufrecht
wie der schnee
schmelze ich
auf der haut.