"... geraucht wird in Kette, Gehirn, Leber und andere Innereien, die einzige Mahlzeit. Sie, die Wölfe, die Vorfahren des Hundes, sind gewalttätig, gereizt, und hassen jeden Menschen ..." (über die Performance-Installation von SIGMA)

Exkursion nach Wien vom 2.bis 5. Juni 2016

Initiator: Thomas Brück

Teilnehmer: Studierende aus den Fachgebieten Zeitbasierte Künste, Modedesign und Buchkunst

Als Exkursion zur Förderung von interdisziplinärem Arbeiten zwischen den Fachbereichen Kunst und Design, als Inspirationsquelle für Performative Ansätze künstlerischer Arbeit und als Austausch mit Internationalen Künstlern begaben wir, eine Hand voll Studierender der Burg Giebichenstein aus den Fachgebieten Zeitbasierte Künste, Modedesign und Buchkunst, uns am 02.06.2016 auf den Weg nach Wien.

Ziel der Exkursion: Die Wiener Festwochen. Diese sind eine der renommiertesten, internationalen Plattformen für Zeitgenössischen Tanz, Theater, Performance Kunst und Bildende Künste. Für mehr als einen Monat verwandelt sich Wien in ein Mekka für alle Arten von Künsten, besonders aber in Bezug auf Darstellung und performative Strategien in den oben genannten Bereichen. Im Programm war diese Jahr unter vielen Anderen das Performanceduo SIGNA. Sie sind derzeit eines der bekanntesten und kontroversesten Künstlerduos in der deutschsprachigen Theaterszene. Durch ihre begehbaren Installationen erkunden die Zuschauern existentielle Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte und Abgründe. In den geschlossenen Welten wird das Publikum auf Zeit zu einem wichtigen Bestandteil des Spiels.

Signa bezeichnen ihre Arbeiten in der Regel als s.g. Performance-Installationen. Eine Vermischung der althergebrachten Disziplinen. Was ist es, was SIGNA machen? Ist es Theater? Performance? Kunst? Die Besonderheit, und vielleicht wichtigste Rolle spielt die Interaktivität mit dem Rezipienten. Es bleibt recht wage, wie hier zu kategorisieren ist und das ist es vielleicht auch was die Produktionen von Signa so einzigartig macht. Keine Bühne, kein Zuschauerraum, keine Trennung - im Gegenteil - Signa setzt auf Konfrontation, Irritation, Provokation und Unmittelbarkeit. Auf erleben durch aktives Mitspielen, welches den Teilnehmer zu einem erschreckend echtem Miterleben führen kann.

In ihrer ersten Wiener Arbeit bevölkert eine Gemeinschaft von Trans-Species das Gebäude der Faßziehergasse 5A. Am 03. Juni wurden wir Zeugen, Zuschauer oder vielmehr Teilnehmer und Mitsteure der diesjährigen Produktion „WIR HUNDE/ US DOGS“ 
Über 5 stunden bespielte das Ensemble drei Etagen eines ungenutzten Hauses im Zentrum Wiens und das in Spielblöcken a 3 Wochen und zum Teil - non stop! Nachdem wir unsere Tickets erhalten hatten wurden diese am Einlass durch Einladungskärtchen ausgetauscht. „Canis Humanus“ lud die Teilnehmenden ein Ihr Haus zu besuchen. „Canis Humanus“ - so der Name der Gesellschaft, ist ein Zusammenschluss mehrere Familien, die sich zur Aufgabe gemacht haben s.g. Hundsche zu schützen und mit ihnen als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft umzugehen. Die Zeit in Wien verstand der Verein als eine Öffnung nach Außen, als Tag der Offenen Tür, um Ihr Anliegen einer breiteren Masse zugänglich zu machen.

Hundsche, so die Erklärung, sind Menschen, die in sich die Seele eines Hundes Tragen. Rein Äußerlich sind sie von Menschen nicht zu unterscheiden. Doch ihr Verhalten und ihr Instinkt gleichen denen von Hunden. Wie auch in den vorangegangenen Produktionen von Signa und Arthur Köstler, erzählt auch „WIR HUNDE“ in einer bewusst skurrilen, teilweise witzigen, oft leicht Ekel erregenden Wohnlandschaftsgestaltung von merkwürdigen Lebensweisen. Dabei inszeniert das Performance-Duo Begegnungsräume, in denen die Zuschauer aus ihrer sonst so bequemen Konsumentenhaltung regelrecht gezwungen werden, in einen enger als gewohnten, Kontakt zu treten. Möchte man sich darauf lieber nicht einlassen - steht es einem frei, jederzeit zu gehen.

Lässt man sich auf das Spiel ein ist Flexibilität, Improvisationstalent, Spontanität und ein gesundes Selbstbewusstsein die besten Mittel, um sich fallen lassen. So kann es schließlich zu einem Bruch der klassischen Rollenverteilung kommen. Einem Ablegen der Rolle des Zuschauenden und ein Annehmen der fiktiven Situation. Man wird Teil der Inszenierung. Spielt man gut, wird diese zu einer in sich geschlossenen Realität, die zeitlich begrenzt bleibt. Man kommt den Hundschen und ihren Familien nah, teilweise sehr nah, aber immer nur so nah, wie man sich selbst zutraut. Wie weit man geht ist einem selbst überlassen. Hier streift SIGNA die Grenzen zu Vorgehensweise wie man sie aus Sozialen Experimenten oder Rollenspielen kennt.

Man unterhält sich, besucht die anderen Familien und den Gründer von „Canis Humanus“ ; Graf Sigbert Trenck von Moor auf seinem Krankenbett, trinkt Schnaps und besinnt sich. Man unterhält sich über existenzielle Themen, über Tod und Leben, Trauer, Hass, Angst, Moral und Menschlichkeit. Man macht Musik, hilft im Haushalt, sitzt in absurd gestalteten, kitschig pastellfarbeneren Wohnküchen und überall gehören die Hündische mit dazu, denen es, wie einem versichert wird, gut geht, weil sie nun ausleben können, was sie sind: Hunde in Menschengestalt, nicht Transgender sondern - Transspezie. In diese Parallelwelt, in die manche eigentlich nie hinabsteigen wollten, deren Faszination man sich aber nur schwer entziehen kann, reflektiert der Rezipient während er mit seinen eigenen Prinzipien und Idealen konfrontiert wird über Macht, Verantwortung, Unterwerfung, über Sexualität und Missbrauch, über Gewalt und Erziehung. Oft widerlich, amoralisch, morbide, schrecklich schön, pervers, oder liebenswürdig inszeniert, ist „WIR HUNDE“ abstoßend und reizvoll zugleich. Doch welche Frage geht all dem voran? Was ist der Aufhänger? Der Hund - der Hund der vom Menschen zugerichtet wird. Einst ein Wolf vom Menschen domestiziert, zum Hund gemacht und dabei selbst der Ausrottung sehr nahe kam. Die Fragwürdigkeit dieser Domestizierung, die so unglaublich pervertiert wurde, daran lassen die Besucher, die im Untergeschoss des Hauses angelangen, kaum einen Zweifel. Dort befindet sich der Zwinger. 
Im Zwinger, treibt SIGNA den Besucher an seine Grenzen. Der Gestank von gebratenen Inneren, kahler Beton, Gitterstäbe, Ketten, Schmutz, Kot und Urin, Wodka und Zigaretten und die Hundsche, die noch erzogen werden müssen, und daher in Käfigen gehalten werden. Am Eingang, klare strenge Anweisungen von zwei jungen Frauen, Zwinger- Angestellte, die eher wie Prostituierte wirken und sich bei Wohlgefallen dementsprechend anbiedern. Zusätzlich gibt es einen funktionstüchtigen Elektroschocker in die Hand, zum Schutz. Und in der letzten Ecke, hinter Federmatratzen und Kettenkonstruktionen, verborgen im Dunkeln trifft man schließlich auf eine, wie ein Heroinjunkie anmutende Signa Köstler in der Rolle von Nina 13. Man begegnet zwei Fratzen, einem Wolfsmenschen Ehepaar in Ketten, geknechtet. Geprügelte Hunde, Freaks, Punks, Aussätzige unter einer Brücke im Mülldistrikt. Geschunden, fertig, krank, selbstzerstörerisch, hoffnungslos.
„Killer Wolf“ der Rockband Danzig schallt durch den Gettoblaster, billiger Schnaps fließt über willige Lippen, Aufputschpillen liegen auf dem von Müll überlagerten Fußboden, geraucht wird in Kette, Gehirn, Leber und andere Innereien, die einzige Mahlzeit. Sie, die Wölfe, die Vorfahren des Hundes, sind gewalttätig, gereizt, und hassen jeden Menschen: Vorsicht ist geboten. Daher die Ketten und die Elektroschocker. Natur in der unbezwungensten Form- so jedenfalls der Versuch.

Nach 5 Stunden sind viele Besucher erleichtert endlich wieder auf die Faßziehergasse hinaustreten zu können, andere wollen gar nicht das es endet, sind weder erleichtert noch nachhaltig irritiert. Die meisten sind´s. Und das ist doch schon etwas - etwas das Kunst und Theater leisten kann. Und SIGNA kann´s. Und mehr als das. Ein zweiter Besuch am Folgetag war für mein eigenes Ermessen unabdingbar. ImAnschluss an zwei Nächte in einer Parallelwelt, der man auf den Hund gekommen war, ergab sich die Gelegenheit zum Austausch mit den Darstellern im Anschluss an die Vorstellung. Es folgte ein langer ausgiebiger Umtrunk, der durch die hiesigen Wiener Kneipen und Bars führte und schließlich, vorbei an Dixiklokolonien unter Autobahnbrücken und Kleinkunst in Schaukastenformaten der U-bahn Stationen, im morgendlichen Sonnenlicht an der Donau endete.

Neben der Produktion von SIGNA besuchten wir außerdem die Ausstellung und das Open Forum Universal Hospitility sowie vereinzelt das Stück The Encounter von Simon McBurney. Der Regisseur und Gründer von Complicite, tritt in The Encounter selbst auf. Allein, nur ein Tisch, ein Stuhl und ein paar Tonbandkassetten. Mehr braucht es auf der Bühne nicht, um vollkommen unerwartet eine Welt die verblüffender Weise nur aus Geräuschen und Klängen besteht und den Zuschauer ausschließlich über Kopfhörer erreicht. Sind Töne im Theater oft nur Begleiter von Szenen, Atmosphäre und Begleiter – hier sind sie das tragende Ausdrucksmittel. McBurney Performance lässt zwischen Theater- und Kunstkontext verrotten, Ist Bühnenstück, Performance und Konzert zugleich. Die Ausstellung von INTO THE CITY funktioniert im klassischen Ausstellungskontext und beschäftigte sich mit dem Abbau der humanistischen Ideen der Aufklärung, der sich gegenwärtig in ganz Europa aufgrund des Erstarkens neuer Nationalismen, populistischer Strömungen bzw. neuer und alter Formen der Fremdenfeindlichkeit ergibt. Das Projekt versuchte die Kantsche Idee von Kosmopolitismus und Weltbürgertum aus Derridas kritischer Perspektive zu betrachten und wurde dabei vor dem Hintergrund der derzeitigen Migrationsbewegungen dargestellt. Von diesen Ideen und Konzepten inspiriert will Universal Hospitility das Paradox der Gastfreundschaft im Rahmen des Nationalstaats durch eine Analyse der Strukturen von Nationalismus und Populismus aufgreifen und versuchte gleichzeitig den Nutzen einer absoluten Gastfreundschaft am Leben zu erhalten, wodurch eine bessere Lösung für das Zusammenleben mit dem s.g. „Fremden“ denkbar wäre.
Die Ausstellung blickte angefangen bei den historischen Wurzeln, bis zur gegenwärtigen Situation, auf Nationalismus und auf sein ausgrenzendes Wesen und befasst sich mit Fragen des Kolonialismus, Rassismus und Klassifizierung von Kulturen und Menschen, mit Fremdenfeindlichkeit und dem Erbe des Imperialismus, in Bezug auf die unterschiedlichen Vorgeschichten von Ost und West.

Text: Thomas Brück

 

Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PL12066  gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim Autor.

„Burg gestaltet!“ – ein Projekt des gemeinsamenBund-Länder-Programms für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.