(abgeschlossen im WS19/20)

Unter dem Begriff des Raums können in der deutschen Sprache die unterschiedlichsten Dinge verstanden werden. Es gibt architektonische Räume, geographische Räume, biologische Räume und virtuelle Räume. Auch von sozialen Räumen, diskursiven Räumen, rechtlichen Räumen oder historischen Räumen lässt sich sprechen. Darüber hinaus kommt der Begriff auch in Alltagsphrasen zum Ausdruck, etwa wenn es darum geht, „sich Raum zu nehmen“ oder „jemandem seinen*ihren Raum zu geben“. Mit dem Raumbegriff eng verbunden ist darüber hinaus das für unser heutiges Staats- und Gesellschaftsverständnis immer noch maßgebliche "liberale Trennungsdispositiv": Die Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit. Diese bezeichnet keine naturgegebenen Räume, sondern Zuschreibungen, die durch Machtverhältnisse hervorgebracht werden. Historisch betrachtet ist die Grenzziehung zwischen „öffentlich" und „privat" nicht nur konstitutiv für die bürgerliche Demokratie und deren Geschlechterverhältnis, sondern auch für den wohl schillerndsten Begriff der politischen Ideengeschichte überhaupt: den Begriff der Freiheit.

Raum ist nicht per se immer schon vorhanden, sondern meist das Ergebnis menschlicher Konstruktionsleistungen. Er ist Produkt von Zuweisungen und Interpretationen, die materielle Gegenstände erst mit Bedeutung versehen. Es sind Annahmen wie diese, die den Raumbegriff als analytische Kategorie für die Geschlechterforschung anschlussfähig machen. Eine theoretische wie praktische Beschäftigung mit der wechselseitigen Durchdringung von Geschlecht und Raum verspricht daher Erkenntnisse darüber, wie sich Geschlechterhierarchien in unserem Alltag und Agieren, im unserem Wahrnehmen und Denken fortwährend herstellen und aufrechterhalten. Zugleich macht sie es möglich, die Mechanismen zu analysieren, mit denen Macht und Ungleichheit n verbunden sind.

Aus der theoretischen Verschränkungen von Raum und Geschlecht ergibt sich schnell eine Reihe von Fragen: Wie wirkt Geschlecht als soziale und normative Differenzkategorie auf die Konstitution, die Ordnung, die Produktion, die Wahrnehmung und die Nutzung von Räumen? Wie wirken Räume (Raumproduktionen, räumliche Ordnungen, Raumstrukturen, Raumgrenzen etc.) auf Geschlechtsidentitäten, Geschlechterpraktiken und -präsentationen, insgesamt aufs Geschlechterverhältnisse? Und was bedeuten solche Überlegungen für die Verknüpfung von gesellschaftswissenschaftlichen und gestalterischen Zugängen zum öffentlichen und privaten Raum? Andersherum: Wie konnten und können Gestalter*innen Räume und Raumgefüge verändern, erzeugen, irritieren, nutzen, eröffnen, blockieren und verbessern?

Im Seminar werden wir uns zunächst im Rückgriff auf unterschiedliche Disziplinen mit dem Raumbegriff sowie mit der Diskussion von Privatheit und Öffentlichkeit in der Geschlechterforschung beschäftigen. Im zweiten Teil wird es dann um konkrete Räume und Orte unserer Alltagswelt sowie der städtischen Umwelt gehen, die uns täglich begegnen, ob zuhause, im Bus, in der Mensa, im Museum oder Nachts auf der Straße. Die zuvor erarbeiteten Theoriezugänge dienen uns dabei als Grundlage bei der Betrachtung dieser alltäglichen Erfahrungsräume.

Die inhaltliche Auseinandersetzung und Diskussion soll in Arbeitsgruppen und im gemeinsamen Plenum mittels verschiedener methodischer Zugänge (Sekundär- und Primärliteratur, Beispielen aus der Geschichte der Architekturmoderne, künstlerische Arbeiten und kleineren Feldforschungen) erfolgen.

Teilnahmevorrausetzung:
Regelmäßige Teilnahme, Lektüre der Grundlagentexte, Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe und bei der gemeinsamen Textdiskussion.