Diplomarbeit 2019 betreut durch Dr. Prof. Miriam Schaub und Cornelia Weihe
Maria Mandalka zeigt im gläsernen Foyer des Mitteldeutschen Medienzentrum ihre Abschlussarbeit in vier Teilen. Auf dem Boden befinden sich drei großformatige, an diversen Falzkanten gebogene oder zerbrochene Aluminiumbleche. Sie bilden drei schimmernde, spiegelnde, rätselhafte Objekte, Spielzeug für Riesen. Sie könnten in ein anderes Medium übertragene, zu groß und zu schwer geratene Papierflieger sein; wecken Assoziationen von zerknitterten, übergroßen Karten aus einem Wunderland, deren Faltstellen über die Zeit brüchig geworden sind. Durch ihre räumliche Ausrichtung auf eine – unter vielen – Spitzen hin, könnte es sich auch um metallische Wegweiser handeln, deren Spiegelungen je nach Lichteinfall unterschiedliche Richtungen und Orientierungen vorgeben. Alle drei Objekte bzw. Objektgruppen behaupten höchst prekär ihren eigenen Raum, während sie unterschiedlich stark an den ihnen eingeschriebenen, eingeritzten Geometrien ‘kranken’. Bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als eine Trilogie aus einem irregulären Fünf-, einem Sieben- und einem Achteck, was sofort mythologische oder auch anthropomorphe Bezüge, wie etwas das Virtruvianische Pentagramm, in Erinnerung ruft. Dass es um die Fallstricke eines geschlossenes Weltbildes mit – sei es magischen, sei es redundanten, sei es zwanghaften – Zügen gehen könnte, welches seine Widersprüche kühn als Vollkommenheiten auszugeben versucht, liegt nahe, wenn man entdeckt, dass die Falzeinschnitte, welche die Oberseiten der 15 Millimeter dünnen Bleche durchziehen, exakt jede Ecke des Grundecks mit jeder anderen Ecke in Verbindung bringen. Das ist ein strenges Regiment aus Querverbindungen, das die irregulären Metallgrundrisse kontrastreich und über Gebühr zusammenspannt. Jede Falzspur könnte potentiell zu einer anderen Faltung des Gesamtobjekts führen – ein Kaleidoskop der Möglichkeiten; allein: das Zwangssystem aus Verbindungen führt buchstäblich zu unaushaltbaren Spannungen im Material. Solchermaßen überstrapaziert, ist das ursprüngliche Fünfeck in seine Einzelteile entlang der Falzkerbungen zerfallen; das Siebeneck an einer sehr langen Falzkante zerbrochen, so dass es nun aus wenigstens zwei Stücken besteht, die zu einer neuen Konstellation ohne Allgemeingültigkeitsanspruch führen. Allein das Octagon rettet seine Faltenbildung in eine geschlossene Form hinüber. Unsicher, was mit den übrigen Bruchstücken anzufangen sei, zeigt das ehemalige Fünfeck Löt- und Klebspuren, die allesamt das vergebliche Bemühen um eine nachträgliche Rettung deutlich machen. Mandalkas Metallarbeiten zeugen davon, dass es im magischen wie im symbolischen Denken um Analogiebildung geht, die eine Vielzahl von Bezügen aufmachen, die jeder Kausalität spotten; so dass sie ein Dickicht aus bloß hypothetischen Verbindungen erzeugen, die nicht nur jederzeit auseinanderfallen können, sondern das auch wirklich tun … nur um durch unverdrossene Rekombinationen neuerlich „in Form“ gebracht zu werden.
Der schriftliche Teil dekliniert mit Foucaults »Ordnung der Dinge« convenientia, aemulatio, Sympathie und Antipathie verschiedene Genesen von Analogiebildungen (über Nachbarschaften, Spiegelungen usf.) durch; buchstabiert die Gesetze einer Welt der Ähnlichkeit, die keine nach vorwärts gerichtete und an Peripetien ausgerichtete Narration kennt, sondern in rekursiven Schleifen ein magisches und mythisches Weltbild als Urbild von Vollkommenheit und Geschlossenheit bewahrt. In der Theoriearbeit, die einen weiten Bogen über Bacon und Descartes bis zu den unterschiedlichen Traummodellen von Freud (Kompensation) und C.G. Jung spannt, wird dann auch der Bezug zur vierten Arbeit im Raum deutlicher, welche dem Diplom den Titel leiht: »Sternfahrt.«
Das dazugehörige, übergroße Objekt wirkt wie ein Raumteiler. Gespannt vor rustikalen Holzlatten, die wie ein visuelles Raster wirken, besteht es aus wenigstens drei Schichten: einer Rückseite aus Gaze, die mit wenigen Handstrichen mit sehr viskoser Farbe bemalt ist. Davor ist ein Tuch gespannt, auf dem sich die Draufsicht auf eine Barke befindet, etwa in Form eines riesengroßen Blattes, mit Erdfarben handgedruckt. Davor befindet sich eine dritte Gaze, in Hellblau, die – je nach Lichteinfall – aufgrund ihrer wabenartigen Netzstruktur eine leicht flirrende, leicht bewegte Note in das solchermaßen angedeutete Wasser bringt. Die Barke erinnert an ägyptische Totenschiffe aus Papyrus, welche die Toten zum Westufer des Nils übersetzten auf ihrer Reise in die Nacht. Die metallischen Wegweiser, die beim Versuch maximale Kohärenz zu gewinnen, an den in sie eingeschriebenen Falzkerben zerbrechen, werden zusammen mit dem so einfachen wie erhabenen Totenschiff, das sich einem Traum der Künstlerin verdankt, zu einem Menetekel. Das drohende Unheil betrifft die Verstrickungen in einer Welt der Analogiebildung, die zugleich ob der ihr eigenen Poetik und konzeptuellen Genügsamkeit gewertschätzt wird. Die Sternfahrt begleitet und verabschiedet, wie der Text andeutet, nicht nur ein schon zu Lebzeiten in eine eigene Welt aus Symbolen und mythischen Bezügen versunkenes Familienmitglied. Maria Mandalka stellt dem Strudel an Bezüglichkeiten immer die Option von Gradlinigkeit gegenüber. Wer mag, kann sich, inspiriert von der Einfachheit der Schiffsbewegung, für eine der vielen linearen Verfügungen der Aluminiumoberfläche entscheiden: Wer sich aber entscheidet, der einen und nicht der anderen Linie zu folgen, kreuzt nurmehr den Möglichkeitsraum aller anderen.
(Text: Dr. Prof. Miriam Schaub, Fotos: Maria Mandalka)