Diplom | Kunstpädagogik | Klasse Una Moehrke | 26. Januar 2017 | 11 Uhr | Hermes
Noreen Fritsche – Die Innensicht der Außensicht
Wie nehmen wir das für uns Wirkliche der äußeren Welt wahr?
Über die Sinne konstruiert sich jedes Individuum seine eigene Sicht auf die Dinge und das vermeintlich Wirkliche der äußeren Welt – extrahiert und arretiert subjektiv Wahrgenommenes. Dabei füllt sich das Innerste beständig durch äußere Eindrücke und Reize. Diese wurzeln und hinterlassen Abdrücke im Bewusstsein, die jeder für sich selbst verarbeitet und auslegt. Wirklichkeit oder Realität ist somit nichts, das als absolut, konstant, rein objektiv und deckungsgleich definiert werden kann. Allein in meinem künstlerischen Tun begegnen mir vordergründig drei Realitäten. Die eine umfasst natürlich die Welt da draußen – das Äußere. Die andere spielt sich im Kopf ab – im Inneren – und wird durch das, was die Sinne aufnehmen, angereichert. Die dritte Realität findet sich auf dem Papier, in meinen Zeichnungen wieder.
Bilder schaffen Illusionen. Mehrere Ebenen fließen ineinander. Äußere Eindrücke grenzen an Innere. Vorstellungen überlagern sich – Fiktionen entstehen. Meine Zeichnungen sind in erster Linie ein Versuch, die Essenz von etwas Gesehenen und Erfahrenen zu destillieren. Das was im Inneren, von einer Wahrnehmung ausgehend wurzelt, wird zum erinnerten Zeichenbild. Das gezeichnete selbst stellt Erfahrenes meiner Lebenswelt, meine innere Sicht der äußeren Wirklichkeit zur Disposition. Ihr Bestreben: ein visueller Raum zu sein. Dem Betrachter die Möglichkeit schaffen, sich eigenen Denkprozessen hinzugeben. Offen für Imagination und Assoziationen zu sein und reflexiv Wissen oder eigene ästhetische Vorstellungen abzurufen. Denn das Sichtbare in der Zeichnung ist auf das Vorstellende des Rezipienten angewiesen - zeigt sich doch kein eindeutiges Motiv, nur viel mehr eine Ahnung dessen, was es scheint zu sein. Es schwebt in einem Zustand, der unkonkret und doch vertraut ist. Vexierhaft changiert das Bild vor den Augen und zu dem sinnlich Wahrgenommenen projiziert sich Erinnerung der eigenen Lebenswelt auf den Blick – verschleiert diesen – und das Gesehene wird einem zu eigen.
Der Ausgangspunkt meiner künstlerischen Arbeit sind authentische Momente der Landschaftsbegegnung, die eine ästhetischen Wirkung oder Erfahrung hervorgerufen haben. Diese spezifischen Begegnungen und Erscheinungen sind immer unverhofft; ereignen sich blitzhaft und können nicht gezielt aufgesucht werden, wenn ich landschaftliche Räume flanierend durchstreife. Von mir werden sie als etwas empfunden, das die gewöhnliche und alltägliche Daseinsweise unterbricht. Sie locken in einen Modus des Verweilens und lassen mich eine spielerische Distanz zur „Wirklichkeit“ einnehmen. Oft sind solche Momente in Worten schwer zu artikulieren. Zu neblig, unscharf und latent sind die dabei aufkommenden Empfindungen. Dem Unvermögen zum Trotz, dies unzureichend in Worte fassen zu können – vielleicht auch gerade deshalb – drängen diese ästhetischen Erfahrungen von Naturphänomenen zum Ausdruck. Diese wollen behandelt, verstanden und konserviert werden, denn sie erscheinen mir viel zu anregend, um sie nur geistig zu verarbeiten. Dabei sind Begriffe wie: Wahrnehmung, Empfindung, Ästhetik, das Verhältnis von Innenwelt und Außenwelt, Sensibilität, Intuition, Phantasie und auch ein anderer Blick auf das Bekannte, für mich Teil eines vielfältigen und nuancenreichen Spektrums. Sie gehören einem Erkenntnis-Prozess an, der sich innerhalb von künstlerischen Auseinandersetzungen vollzieht. Erkenntnisse im künstlerischen Bereich sehe ich zudem auch nicht als einen statischen, abgeschlossenen Zustand an, sondern als etwas, das sich innerhalb des Spektrums vollzieht und flexibel ist. In meinem künstlerischen Tun erlebe ich gerade den Prozess per se als das, was mir Einsicht gewährt und sich Erkenntnisse innerhalb von diesem generieren.