KAIROSGIFT – BERICHT AUS DER PRAKTISCH-KÜNSTLERISCHEN GABE FORSCHUNG
von Una Moehrke
1. EHRE
Am frühen Vormittag in Bern auf Nahrungssuche. Am dritten Tag der Reise frage ich in einem noblen italienischen Restaurant ohne Gäste – es werden gerade die Terrassenplatten neu befestigt, die Sonne scheint – ob wir womöglich Küchenreste vom Vortag bekommen könnten. Der Kellner reagiert freundlich und sagt, er wolle den Chef fragen. Der Chef kommt auf zwei Krücken, ich wiederhole meine Anfrage und er antwortet: Reste werfe ich weg; wenn ihr eine viertel Stunde Zeit habt, mache ich euch drei Pizzen. Luise zeichnet das Restaurant, wir überreichen die Zeichnung und meine Collage als Gaben. Mit drei Pizzakartons stehen wir eine halbe Stunde später an der Tankstelle und trampen weiter.
„Befinden wir uns tatsächlich im Inneren eines absolut holistischen Universums, wird alles durch Brauch, Werte und Regeln reguliert. In diesem Fall wird niemand einen anderen verraten, da jeder weiß, dass das Verhalten der anderen ebenso durch den Brauch geregelt ist und dass der Brauch befiehlt, dem Weg der Ehre zu folgen, der auch der der Generosität ist. Es ist der Weg der Gabe als Verpflichtung.“ Alain Caillé, aus „Grundzüge eines Paradigmas der Gabe“
2. VERTRAUEN und Risiko
Ganztägig on the road. In den ersten fünf Reisetagen sind wir im Wechsel zwischen couragiert und euphorisch, mutlos und erschöpft, energetisiert und hungrig. Bei allen ungewohnten Erfahrungen erleben wir die unfassbare Unterstützung unseres Kontextes: der Gruppe, von der wir nicht wissen können, wo sie und in welcher Verfassung sie ist, der Fahrer_innen, die uns danken für unsere Gesprächsgaben, unseren Reisepartner_innen, die uns ergänzen, anregen, ermutigen, die helfen, Krisen zu überstehen, die uns bereichern und schonen, wenn wir es brauchen, der Pausen, die uns Raum und Kraft geben, weiter zu machen. Mit der prozessualen Melange von Autobahn, Rast- und Tankstellen, Straße, fremden Wohnungen und Gesprächserlebnissen nähern wir uns in der Reisekontinuität eher passiv als aktiv dem Reiseziel Maisod und erleben ein Versetzt-Sein, – wir sind nicht hier, nicht dort: Aus unserer vertrauten Umgebung gerissen, fließen wir dahin in einem ort- und zeitlosen Raum, der eigenen Erweiterung,Veränderung zu.
„Man muss das Risiko eingehen, Allianzen zu bilden und zu vertrauen, dem Risiko mit Gaben eine Form geben, die ebenso sehr Symbole – Performatoren – dieses Risikos sind. Oder aber es kommt zum Krieg. Sagen wir es noch einmal anders: Man muss sich auf die Bedingungslosigkeit einlassen – weil man in einem Bündnis alles geben muss.“ Allain Caillé, aus „Anthropologie der Gabe, Grundzüge eines Paradigmas der Gabe“
3. ANERKENNUNG
Abends vor der Ladentheke. Der Impuls steigt plötzlich in mir auf, einer unbändigen Freude vergleichbar, und ich bitte spontan im türkischen Imbiss um eine Nahrungsgabe: Zum Beginn stelle ich unser Projekt der geldlosen Reise und praktischen Gabe-Forschung vor, dann trage ich einen Text von mir vor. Der Kassierer erzählt mir, dass er den ersten Tag im Imbiss arbeitet und Angst hat, etwas zu riskieren. Er bleibt zugewandt. Ich bestätige ihn darin, kein Risiko einzugehen, weil ich ihn nicht in Schwierigkeiten bringen möchte. Er sagt: „Es war schön! Ich schreibe auch Gedichte.“ Wir verlassen lächelnd, ohne eine Essensgabe, aber beschenkt von seiner Anerkennung für uns und die Dichtung den Imbiss.
„Der Weg ist weit für den ‚handelnden und erleidenden’ Menschen, bis er erkennt, was er in Wahrheit ist: ein Mensch, der bestimmte Dinge zu vollbringen ‚fähig’ ist. Mangels jener gegenseitigen, vollständig wechselseitigen Anerkennung, die jeden der Partner (...) zu einem anerkannten Wesen macht, bedarf dieses Sich-Erkennen auf jeder Stufe der Hilfe anderer.“ Paul Ricoeur, aus: „Wege der Anerkennung, Sich selbst erkennen. „Ricoeur verwendet für Selbsterkenntnis ‚reconnaissance’. So teilt sich dem Begriff etwas von dem Zögern, dem ‚Widerstand gegen die Erringung des Wahren’ mit.
4. KAIROS
Am frühen Nachmittag auf Fahrerseite und auf allen unseren Seiten. War es ein Performance-Gen, das sich plötzlich in mir regte? Ich trete an einen langsam davon fahrenden, sehr gepflegten Wagen besserer Autoklasse und bedeute dem Fahrer, noch einmal anzuhalten. Er macht einen distinguierten Eindruck, zögert, hält aber doch an und lässt die Scheibe herunter. Ich kann ihn ansprechen: Im Kontext eines Studienprojektes über das Gabe-Theorem machen wir eine Reise ohne Geld usw. Die Vokabel ‚Studienprojekt’ auf der Raststätte lässt ihn kurz innehalten. Das konkrete Kairos-Moment ist hier: die Vokabel als Vademecum. Ich erkläre weiter unser Projekt und frage, ob er uns mitnehmen würde. Er bietet uns die Mitfahrt an, wir führen ein sehr intensives Gespräch mit ihm, der als promovierter Engineering Manager arbeitet, eine christliche Haltung vertritt und früher Jugendfreizeiten geleitet hat. Die Gabe ist für ihn eine Fähigkeit, Sprache / Fremdsprache zu haben (vgl. Heidegger: Wir sind sprachbegabt und bemerken es, wenn es uns die Sprache verschlägt.)
„Sprechen bedeutet, etwas mit Worten zu tun.“ John Langshaw Austin (1911 –1960) was a British Philosopher of language and leading proponent of ordinary language philosophy, perhaps best known for developing the theory of speech acts.
Kairos ist ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenutztes Verstreichen nachteilig sein kann. In der griechischen Mythologie wurde der günstige Zeitpunkt als Gottheit personifiziert. Im Altgriechischen wird der Terminus Kairos als der rechte Zeitpunkt erfasst und steht im Gegensatz zum langen Zeitabschnitt Chronos und zum Tag. In biblischen Texten wird das Wort Kairos für einen von Gott gegebenen Zeitpunkt, eine besondere Chance und Gelegenheit, den Auftrag zu erfüllen, verwendet.
Immanuel Wallerstein nimmt diesen Begriff in seinem Buch „Unthinking Social Science“ wieder auf, um eine postmoderne Theorie gesellschaftlichen Wandels zu formulieren. Für Giorgio Agamben ist der Kairos die Zeit der messianischen Erfüllung/Außerkraftsetzung des Gesetzes, in der der chronos „gestaucht“ wiederholt wird. In der Philosophie ist es der entscheidende Augenblick selbst, in der Religion steht Kairos auch für die Entscheidung zwischen Glaube und Unglaube.
5. GEGEBENHEIT
Altes Testament kurz vorm Flughafen Genf. Unsere Fahrerin ist nervös. Sie weiß nicht, ob sie auf dem richtigen Weg zum Flughafen ist: Die sympathische, temperamentvolle Portugiesin, die in der Schweiz arbeitet, um ihr Leben zu Hause finanzieren zu können, ist unsicher. Wir studieren den Straßenatlas und können sie beruhigen: Die Autobahn ist richtig. Auf meine Frage, was für sie eine Gabe ist, antwortet sie strahlend: „That’s I’m alive!“. Beim Aussteigen bricht sie von ihrem Weißbrot die Hälfte für uns ab und gibt uns etwas von ihrer Schokolade.
„Es ist nicht selbstverständlich, dass es das gibt, was es gibt. Diese Gegebenheit, die wir in unserem Leben gar nicht genügend wahrnehmen, sondern so leben, als wäre es das Selbstverständlichste, ist das größte Wunder.“ Gerhard Stamer, aus „Im Modus der Gabe“
„Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es.“ Römer 3.24
„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr euch untereinander lieb habt.“
1. Korinther12.7
6. FREIHEIT und MORAL
Und nicht: freedom ist just annother word for nothing left to lose...
Mir ist der Lastwagenfahrer nicht geheuer, aber Karl-Konrad hat ihn gefragt und hat auch Lust, einmal mit dem LKW zu fahren. Er sieht sehr ungepflegt aus und macht auf mich keinen vertrauenswürdigen Eindruck. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm vielleicht ungerecht werde. Er erklärt uns, dass zwei in der Koje bleiben müssen und einer vorne sitzen darf. Wiederholt sagt er, dass er jetzt losfahren will. Er fährt aber nicht los und fragt Karl-Konrad mehrfach, ob wir nun mitfahren. Ich gehe noch einmal zum LKW, wieder das gleiche Gefühl: Nicht einsteigen! Karl-Konrad und Luise lassen sich von mir überzeugen, wir steigen nicht ein.
„Ich bin mir gewiß: In meiner Freiheit bin ich nicht durch mich selbst, sondern werde mir in mir geschenkt, denn ich kann mir ausbleiben und mein Freisein nicht erzwingen. Die höchste Freiheit weiß sich in der Freiheit von der Welt zugleich als tiefste Gebundenheit an Transzendenz. (...) Die Freiheit, das Wichtigste, das uns Menschen gegeben ist, die alle Menschen mit ihrem Erkenntnisvermögen empfangen haben, ist gerade das, wodurch sie in eminenten Sinne zum Geben befähigt sind. Die gesamte Moralphilosophie, die Praktische Vernunft Kants kann als Begründung einer Sphäre angesehen werden, in der sich eine unökonomische Gabenkonzeption in radikaler Weise verwirklicht. Der Kategorische Imparativ drückt es so aus: “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ Ist die hier zum Ausdruck kommende Bezogenheit des individuellen Willens auf die Gemeinschaft nicht die höchste Form der Gabe? Die Quintessenz dieses Gedankens lautet: Moral ist Gabe. Wenn es keine Gabe gibt, gibt es keine Moral.“ Gerhard Stamer, aus „Im Modus der Gabe“
7. GEFANGENENDILEMMA
Zoll als Sollbruchstelle. Mäßig schönes Rasenstück an der Raststätte, unerwartete Störung beim Restepicknick. Luise lädt noch einen Tramper mit dessen Fahrer ein, obwohl das Essen kaum für uns reicht. Aus der Einladung entwickelt sich ein sehr schönes Gespräch mit dem Fahrer, einem Biobauern mit Hof in Lüchow-Dannenberg. Als ich die grünen Blätter von den geschenkten, zwei Tagen alten Radieschen Bünden vom Markt vorm Freiburger Münster abreißen will, erklärt mir der junge Biobauer, dass durch sie die Feuchtigkeit in den Radieschen gehalten wird und Abreißen sie austrocken würde. Plötzlich hält ein Zollauto und unterbricht die schöne Stimmung. Wir werden gebeten, das Gepäck zu zeigen. Ich sage zum Zollbeamten: „Wie schade, dass Sie jetzt unserer schöne Atmosphäre damit zerstören, dass Sie mich glauben lassen, dass ich Sie verdächtigen muss, uns zu verdächtigen, etwas Unerlaubtes zu schmuggeln.“ Er stutzt und geht ansatzweise auf meine Gesprächswaffe ein. In Folge wird er freundlicher, schaut nur sehr oberflächlich in den Rucksack von Karl-Konrad und verschont Luise und mich. Er verabschiedet sich höflich, der Störfaktor war nur eine leichte Trübung.
„Als einer von zwei Gefangenen, dem ein machiavellistischer Richter die Kommunikation mit seinem Mitgefangenen verboten hat, würde ich meinen Mitgefangenen denunzieren; denn ich würde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, wenn er mich auch denunziert; ich käme frei, wenn er mich nicht denunziert. (Dieselbe Kalkulation gilt auch für ihn) Wenn ich ihn nicht denunziere, aber er denunziert mich, erhalte ich acht Jahre. Wenn wir einander nicht denunzieren, werden wir zu einem Jahr verurteilt. In dieser klassischen Formulierung des bekannten ‚Gefangenendilemmas’ einer hauptsächlich logischen Parabel in allen Debatten über vernünftiges Handeln, die von Alber W. Tucker stammt, erscheint das Problem des Vertrauens in all seiner Einfachheit. Offensichtlich ist die beste Lösung die ‚moralistische’. Sie ist eine Treue, des Vertrauens und der Ablehnung des Verrats. Aber sie setzt Vertrauen in den Anderen voraus. Und sie setzt Vertrauen in der Annahme voraus, dass auch der andere vertrauen haben wird und so weiter. Sobald ein Zweifel auftaucht, sobald ich beginne, den anderen zu verdächtigen, mich seinerseits einseitig zu verraten (und auch das wäre ‚rational’, insofern mein Mittäter, wenn er mich seinerseits verrät, sicher sein kann, keine acht Jahre Gefängnis zu bekommen; und er kann darauf hoffen, sofort befreit zu werden, wenn ich ihn meinerseits nicht verrate), werde ich unwiderstehlich dazu getrieben, selbst ‚zu verraten’ und das Spiel der Denunziation zu spielen. Die strategische Rationalität führt also unsere beiden Strategen dazu, sich gegenseitig zu denunzieren, damit sie nicht acht Jahre erhalten, sondern vier Jahre, selbst wenn sie nur ein Jahr Gefängnis hätten bekommen können.“ Alain Caillé, aus: „Das Gefangenendilemma – Rationalität, Gabe und positive wechselseitige Verschuldung“
8. DIE GABE GIBT SICH SELBST
Auf der Eselsweide, in der Sonne. Die ganze Reisegruppe sitzt am ersten Klausurtag auf der Weide im Seminarversuch: Handelt es sich um Camping, Urlaub, Zufall? Das Bild trügt und ist doch wahr! Ich schlage vor, zu Beginn zehn Minuten zu überlegen, wie die einzelnen Reiseberichte erzählbar werden und sie den einzelnen Gabe-Kategorien oder selbstgewählten Begriffen zuzuordnen, erste Projektskizzen zu entwerfen und bei alldem größte Entspannung zu üben – auf dem Rücken liegend, in den blauen Himmel schauend ... Das Sprechen beginnt: Die Gesprächsatmosphäre im natürlich kultivierten Seminarraum der Weide fühlt sich für mich wie Musik an oder wie ein sanfter Lufthauch, der alle streift. Kein Stress weit und breit. Zwischendurch machen sich die Esel bemerkbar, treten auf meine Sonnenbrille, simulieren Lernbereitschaft oder doch Interesse, necken uns mit ihren Berührungen, stören und belustigen uns. Die Erzählungen haben eine besondere Qualität: Sie sind vielfältig, teilweise literaturverdächtig, alle intensiv und bereichernd, überlegt und vorstrukturiert. Es ist die helle Freude, sonnenbrandnah und scheinbar keine Studienarbeit. Meine Permanentzweifelbegabung legt sich am siebten Tag. Das Projekt der praktisch-künstlerischen Gabe-Forschung ist kein Leichtsinn, sondern Ereignis. Es schafft Vertrauen und Selbstbewusstsein. Ich kann die Angst ablegen, mich zu weit vorgewagt zu haben. Aus dem Rahmen des Gabe-Denkens, sprich Exkursion, entstehen neue Gaben, die Quelle quillt.
„Die performative Kraft der Gabe erzeugt sich in und durch sich selbst. Indem die Gabe gegeben wird, bringt sie etwas hervor, dass es außerhalb von ihr und ohne sie nicht geben würde: einen seitens des Gebers nicht erzwingbaren Zwang zur Erwiderung.“ Iris Därmann, aus „Theorien der Gabe, Die Kraft der Sache selbst“
9. GENERÖSE GENERATIVITÄT
Campen, Essen und Trinken bei Bruno. Der Bauer Bruno gibt uns auf seiner Eselsweide Camp-Platz und Feuerstätte, in seiner Küche Tafel und Essen. Er verbreitet eine ‚generative Generösität’. Aus seiner und unserer Spontaneität erwächst zirkuläre Kreativität – er vertraut uns, den Kairosabgesandten und zufällig Erscheinenden, in Stall und Haus (Sophia und Laura helfen ihm melken) und er feiert mit uns zum Abschied unseren Besuch. Er sagt sogar: „Ihr könnt noch bleiben“. Im Bild unseres ‚Abendmahls’ in seiner Küche lässt die Gabe erscheinen, was sie geboren hat: drei Tage Klausur mit Landarbeit, Seminar auf der Weide unter freiem Himmel und reziproker, ‚gastgebender’ Geborgenheit – kollektive Paradiespraxis vor der Rückreise, Initiation im sozialen, dinglichen und immateriellen Transfer.
„Wenn wir einer strukturalistischen Logik binärer Strukturen folgten, würden wir Ansätze, die die Gabe mit Hilfe eines Begriffs des Rituellen analysierten, von solchen unterscheiden, die die Gabe nicht von ihrer verpflichtenden, sondern von ihrer freiwilligen Dimension aus betrachten, die die Spontaneität und Kreativität impliziert. Die Generosität steht hier Seite an Seite mit der Generativität. Alain Caillé, aus „Anthropologie der Gabe“
10. PARADOXE HANDLUNGSTHEORIE
Oder: Modell der Reise? Aspekte des Utilitarismus und Holismus. „Das einzige Mittel, aus der Sackgasse des Gefangenendilemmas und des methodologischen Individualismus herauszukommen, das einzige Mittel, Vertrauen zu schaffen und ein soziales Verhältnis herzustellen, liegt im Risiko der Gabe. (...)
Dem Gefangenendilemma von Kooperation und Nicht-Kooperation lässt sich, wie schon Mauss durch seine Formulierung nahelegt, nur in einer paradoxen Form begegnen. Das Risiko der Gabe ist paradoxal, da nur die demonstrative Uneigennützigkeit und das Bedingungslose die Möglichkeit eröffnen, Bündnisse zu schließen, von denen alle profitieren werden, und damit schließlich auch derjenige, der die uneigennützige Initiative ergriffen hat. (...) Der Holismus kennt nur die traditionelle Handlung und der Individualismus nur die zweckrationale Handlung.“
„Die Gabe ist obligatorisch, weil nicht einfach irgendeiner Person irgendetwas, irgendwann und irgendwie gegeben wird und weil die Momente und Formen der Gabe sozial instituiert werden, wie dies der Holismus richtig sieht. Aber sollte es sich um nur um ein bloß mechanisches Ritual, um einen vorgeschriebenen Ausdruck von verpflichtenden Gefühlen der Generosität handeln, dann wäre man in einer argumentativen Sackgasse, wie die Gabe- selbst wenn sie sozial zwingend wäre- tatsächlich nur in einem Kontext von Spontaneität ihren Sinn gewinnt. Es soll gegeben und erwidert werden (...) Mauss läßt kaum einen daran, das sie nicht der privilegierte Antrieb der Sozietät wäre, der sie ist, wenn sie nicht zugleich und paradoxerweise obligatorisch und frei, eigennützig und uneigennützig wäre.“ Alain Caillé, aus „Die Gabe als Risiko und eine Lösung der Aporien des methodologischen Holismus und Individualismus“