Ausstellung in der Burg Galerie im Volkspark vom 3. Mai bis 17. Juni 2012, Vernissage am Mittwoch, 2. Mai 2012, 18 Uhr
Die Ausstellung „Tausend Stimmen“ zählte während der sechseinhalbwöchigen Laufzeit über 700 Besucher. Es gab Führungen mit dem Publikum anlässlich der Museumsnacht in Halle und Leipzig. Darüber hinaus wurden Führungen für Studierende und Professoren angeboten. Ein kurzes Video von Burg-Student Michel Klehm dokumentiert die Schau auf kompakte Art. Die Rezension von Johannes Stahl in der Zeitschrift „Kunstforum“ analysiert Inhalt und Kontext der Ausstellung in treffender Form. (Siehe rechte Spalte für Video und Rezension)
In guten Ausstellungen geht es immer auch um Dialoge und darum, den Dingen über die reine Bedeutung hinaus eine eigene Stimme zu geben. Wer als „mündiger Besucher“ eine Ausstellung aufsucht oder über die Schwelle eines Kunstraums tritt, steht immer mittendrin in einem Archiv, einem Büro und Labor von Dingen, Werken und Erzählungen. Hier vibrieren Stimmen, leuchten Stimmungen auf, ist die Szene von leichtem Hall erfüllt. Wer als Flaneur im Parcours der „Tausend Stimmen“ umherschweift, dem sei geraten, so viel zu wissen wie nur eben möglich und zugleich sich naiv erleben zu können. Zudem ist ihm geraten, sein Potenzial an Neugierde aufzurufen. Ziel ist es, das Panoptikum und Panorama an Impulsen und Eindrücken so zu nutzen, dass sich allmählich Zusammenhänge erschließen. Der Kunstwissenschaftler und Kurator Barnaby Drabble schreibt treffend:
„Die Ausstellung ist ein Ort, wo wir zur Teilnahme an einem mentalen Spiel aufgefordert werden, bei dem wir uns vorstellen, dass Objekte zu uns sprechen. ... Wessen Stimmen hören wir eigentlich in der Ausstellung? ... Zu den Stimmen der Künstler kommen diejenigen der Kuratoren und der Institutionen hinzu. ... Ausstellungen können von Harmonien oder Misstönen geprägt sein, und die Beurteilung ihrer Qualität erfordert genaues Hinhören; man muss ein Ohr dafür haben, wie sie zusammenklingen, sich gegenseitig ergänzen, erweitern oder widersprechen. ... Kuratorische Entscheidungen können künstlerische Positionen miteinander in Dialog bringen oder die Prozesse hinter den Objekten mit einem parallelen Kommentar deutlich machen.“ – Barnaby Drabble, Stimmen in der Ausstellung, in: Swiss Exhibition Award 2009, herausgegeben vom Bundesamt für Kultur und der Julius Bär Stiftung, Bern 2010, S. 47–56. (siehe gesamten Text zum Download in der rechten Spalte)
Die Stimmen von Werk, Künstler, Kurator und Institution erfahren durch die Präsenz der Stimmen des Publikums eine grundlegende Erweiterung. An das „goldene Zeitalter“ der Kuratoren könnte sich schon bald dasjenige der Ausstellungsbesucher anschließen. Die Schau „Tausend Stimmen“ stellt nicht allein das Kuratieren bzw. Ausstellungsmachen in den Vordergrund, sondern geht einen Schritt weiter, indem sie das Ausstellen und Vermitteln als eine Parallelaktion denkt und zeigt. Konsequenterweise existieren hierbei keine Haupt- und Nebenstimmen mehr. Zu hören ist nur noch das große Mit- und Durcheinander. Das Eindrucksvolle an solch einer Aufweichung von Sinnhaftigkeit ist, dass man als Besucher ein Teil dieses offenen Systems geworden ist. Im labyrinthischen Palaver der Stimmen gibt es keinen roten Faden der Konventionen mehr, sondern nur noch überraschende Echos, Dialoge und Spiegelungen.
Die Ausstellung „Tausend Stimmen“ nähert sich mit fünf in sich bereits sehr vielstimmigen künstlerischen und gestalterischen Beiträgen dem „Medium Ausstellung“ auf komplexe, verspielte und emotionale Art. Als Ausstellung entsteht sie aus dem Nichts und verdämmert dorthin zurück. Als Ergebnis des Ausstellungsbesuches zeigt sich eine kleine Verrückung, manifestiert sich eine schmale Erlebnisspur. Eine solcherart bewegende Erfahrung kann verhindern, dass wir die Welt der Kunst noch mit den gleichen Augen wie zuvor betrachten. „Tausend Stimmen“ will die Menschen in Staunen versetzen, zu Entdeckungen anregen und den Raum für Reflexionen öffnen.
Leila Tabassomi, Szeemann, und Jetzt?, 2011–2012
Das als Fragerecherche angelegte Projekt von Leila Tabassomi geht von der Prämisse aus, dass dem Mythos Szeemann nur beizukommen ist, wenn die Kuratoren befragt werden, die diesen Mythos mitbegründet haben und weiterhin aufrechterhalten. Der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann (1933–2005) strebte mit seinen legendären Ausstellungen wie „When Attitudes Become Form“ (1969), „Junggesellenmaschinen“ (1975), „Monte Verità“ (1978) oder „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ (1983) und mit seinem imaginären „Museum der Obsessionen“ nach Grenzüberschreitungen und nach Visualisierungen von Energie und Magie. Tabassomi stellte über 30 Kuratoren je 11 Fragen, wie: Welche Rolle spielt Szeemann in Ihrer Biografie? Sie wollte wissen, welche seiner Impulse aufgegriffen, weitergeführt, modifiziert oder konterkariert werden? Mehr noch: Wie werden heute Ausstellungen gemacht? Tabassomi lässt in „Tausend Stimmen“ nicht nur die „Experten“ zu Wort kommen, sondern aktiviert gleichzeitig auch das Meinungsbild der Besucher.
Gerhard Dirmoser, Diagrammatik der Ausstellungskunst, 2012
Der Linzer Künstler und Systemanalytiker Gerhard Dirmoser beschäftigt sich mit semantischen Netzen. Seine aktuelle Forschung zu einer „Diagrammatik der Ausstellungskunst“ vermittelt in visueller und verbaler Gestalt, dass Ausstellungen und Diagramme verbindende Eigenschaften aufweisen. Ihr gemeinsamer Nenner ist, dass beide Formen, Ordnungen und Gesten des Zeigens und Präsentierens verkörpern, dass beide Gefüge, Konfigurationen und Konstellationen bilden, dass beide Wissen, Orte und Kontexte zueinander in Beziehung bringen. Die Diagrammkunst von Dirmoser öffnet einen bisher ungeahnten Blick auf die Kunst des Ausstellens und begreift das Ausstellen als Erzählen, Zwischen-Räumlichkeit, Zueinander-Konstellation und Zeige-Komplex. Dirmoser verwandelt die Burggalerie in einen Ort der Sehlektüre, der seine Gedanken und Notationen zu Themen präsentiert wie Akteur, Parcours, Drama, Sockel, Blick, Schwerkraft, Archive, Zwischenraum und Materialität. Durch Texte, Bilder und Text-Bild-Hybride alias Diagramme vermittelt sich eine Ästhetik des Kuratierens jenseits von White Cube und Wunderkammer.
Dreams of Art Spaces Collected, 2008–2012
Das künstlerische Rechercheprojekt der Künstler Dorothee Albrecht, Moira Zoitl und Andreas Schmid untersucht die Rolle von Kunsträumen in einem globalen Zusammenhang und wurde von der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK) in Berlin ermöglicht. Im Mittelpunkt stehen Gespräche mit Künstlern, Kuratoren und Theoretikern über Kunstbegriffe, Kontexte und Räume für Kunst. Die Sammlung der Video-Beiträge porträtiert unterschiedliche Kunsträume sowie ihre lokalen Voraussetzungen in einer globalisierten Welt. Im Blickpunkt stehen Art Spaces, Project Spaces und künstlerische Initiativen. Die in China und Europa geführten Video-Interviews gehen folgenden Grundfragen nach: Wie wird Kunst ausgestellt und vermittelt? Was ist die Aufgabe eines Kunstraums? Was für Strategien und Modelle werden eingesetzt? Welches Publikum versucht der Kunstraum anzuziehen? Die verschiedenen Stimmen im Projekt „Dreams of Art Spaces Collected“ zeigen, dass die Vorstellungen davon, wie Kunst oder die eigenen Werke präsentiert und vermittelt werden sollen, vielfältig sind und viele Kulturschaffende weltweit beschäftigt.
Christian Jankowski, Dienstbesprechung, 2008
Die Arbeit „Dienstbesprechung“ (2008) von Christian Jankowski vermittelt einen Einblick in die vielfältigen Funktionszusammenhänge der Institution Kunstmuseum. Sie zeigt, wie Jankowski im Kunstmuseum Stuttgart einen Rollentausch der einzelnen Mitarbeiter im Haus vornimmt. Die Mehrheit der Kollegen (Direktor, Kurator, Techniker, Sekretärin, Hausmeister) tauscht für einen Tag mittels Losentscheid ihre Jobs. Das Werk protokolliert einerseits in Filmaufnahmen die gegenseitigen Einweisungen: vier Minuten Zeit, um den eigenen Arbeitsplatz abzutreten, die wichtigsten Tätigkeiten zu umreißen und sich selbst in einen neuen Arbeitsplatz einweisen zu lassen. Anderseits zeigt ein Dokumentarfilm als Werbetrailer das Museum und seine Mitarbeiter an den getauschten Arbeitsplätzen: Die Kuratorin schiebt Sicherheitswache, die Direktorin verlegt Teppiche. Dabei wissen die Filmemacher nicht, dass sie es mit „Laien“ zu tun haben. Was mag der Ausstellungstechniker als Direktor zuallererst veranlassen? Wie verhält sich der Sicherheitsbeauftragte in seiner neuen Rolle als Kurator?
Matthias Götz und Maike Fraas, Villa Paragone, 2006/08
Die theoretische Debatte zu Theorie und Praxis des Ausstellens hinkt den Ereignissen hinterher, stellen Matthias Götz und Maike Fraas 2006 fest. In der „Villa Paragone“ werden im Medium Symposium und Buch die spezifischen Bedingungen und Möglichkeiten des Ausstellens besprochen, die Entwicklungsgeschichte des Ausstellens umrissen und der Blick auf die vielfältigen Beziehungen zwischen Theorie und Praxis des Ausstellens gerichtet. Im Mittelpunkt steht das Prinzip des Vergleichs (paragone), denn Ausstellen heißt immer auch: Vergleichen. Hinstellen ist das eine, Ausstellen etwas anderes – den Unterschied macht die Qualität des Vergleichens aus. Und auch die Chance, das Verglichene als Vergleich zu erkennen und einzuordnen. Das betrifft unterschiedlichste Disziplinen und Kompetenzen: Museen und Museologen, Designer und Sammler, Historiker und Szenografen, Ausstellungsmacher und Konservatoren, Dekorateure und Journalisten, Messebauer und Grafiker oder Architekten. In „Tausend Stimmen“ können sich die Besucher im „Lesezimmer“ in dem mehr als 600-seitigen Werk vertiefen.
Mit künstlerischen und gestalterischen Beiträgen von:
Gerhard Dirmoser, *1958, lebt und arbeitet in Linz
Dreams of Art Spaces Collected: Dorothee Albrecht, *1969; Andreas Schmid, *1955 und Moira Zoitl, *1968, alle leben und arbeiten in Berlin
Christian Jankowski, *1968, lebt und arbeitet in Berlin
Leila Tabassomi, *1979, lebt und arbeitet in Leipzig
Matthias Götz, *1952, lebt und arbeitet in Halle und Zürich
Maike Fraas, *1976, lebt und arbeitet in Halle
Mit kuratorischen Stimmen von:
Teil I: Dreams of Art Spaces Collected befragte folgende Künstler und Kuratoren in China, Europa und der Türkei:
Jay Brown - Lijiang Studio in Lashihai, Johnson Chang Tsong-Zung in Hong Kong, Chen Tong - Libreria Borges in Guangzhou, Claire Hsu - Asia Art Archive in Hong Kong, Leung Chi Wo Warren - Para/Site Art Space in Hong Kong, Qiu Zhijie in Beijing , Ashley Yeung - Videotage in Hong Kong, Bonnie Yeung und Connie Lam - Hong Kong Arts Centre, Eva Hertzsch und Adam Page - Info Offspring in Berlin, Anton Lederer und Margarethe Makovec – rotor Graz, Martina Reuter und Dominik Portune - Depot Wien, Ute Meta Bauer, Charles Esche, Sarat Maharaj, Leonie Baumann - Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin, Charlotte Martinz-Turek und Luisa Ziaja – schnittpunkt in Wien, Özge Acikkol - oda projesi in Istanbul, Vasif Kortun - Platform Garanti in Istanbul
Teil II: Leila Tabassomi befragte folgende Kuratoren:
Hildegund Amanshauser, Ute Meta Bauer, Daniel Baumann, Nike Bätzner, Tobia Bezzola, Beatrice von Bismarck, Bice Curiger, Rike Frank, Nicole Fritz, Raphael Gygax, Wulf Herzogenrath, Julian Heynen, Justin Hoffmann, Gregor Jansen, Susanne Jaschko, Christoph Kivelitz, Moritz Küng, Gabriele Mackert, Vanessa Joan Müller, Ruth Noack, Nini Palavanshivili, Susanne Pfeffer, Ingrid Pfeiffer, Julia Schäfer, Britt Schlehahn, Necmi Sönmez, Bettina Steinbrügge, Markus Stegmann, Angelika Stepken, Leif Magne Tangen, Matthias Ulrich, Florian Waldvogel, Susanne Weiß, Thomas Weski, Axel Wieder
Burg Galerie im Volkspark
Schleifweg 8a
06114 Halle (Saale)
Tel. +49 (0)345 7751-526
www.burg-halle.de/galerie
Öffnungszeiten
Mo–Fr 14–19 Uhr / Sa + So 11–16 Uhr / Pfingstmontag 11–16 Uhr