Es ist eine Lust, Räume zu durchmessen, auszuschreiten, Überblick zu gewinnen, aber auch Peripherien zu erkunden, herumzustreunen, sich zu verlaufen und dadurch Unerwartetes zu entdecken. Der Flaneur, der eine Schildkröte am Band mit sich führte, um das richtige Tempo zu haben, wird von Walter Benjamin um 1840 verortet. Heute sind wir darauf geeicht, selbst das Spazierengehen zu einer Wissenschaft zu machen. Wir werden dazu erzogen, eine Perspektive zu entwickeln und (neue) Horizonte anzuvisieren. Aber schon im „anvisieren“ steckt die militärische Strategie des auf etwas Zielens, die Aneignung von Territorien. Was bedeutet daher „Raum“, was bedeutet „Heimat“ in Zeiten von Eroberungskriegen und imperialem Großmachtdenken? Kann es für Geflüchtete eine neue Verortung geben oder gibt es den Ort nur noch als Verlusterfahrung? Welcher Raum „gehört“ uns, welcher schließt aus, welcher verbleibt nach kapitalistischer Privatisierung? Wo gibt es Orte der Gemeinschaft, eine Allmende; wie lässt sich hierfür vermeintlich öffentlicher Raum zurückgewinnen? Kann es eine „ehrenhafte Ernte“ (Robin Wall Kimmerer, 2021) geben, einen ressourcenschonenden und verantwortungsvollen Umgang mit dem, was uns umgibt?

Die im 20. Jahrhundert aufblühende Raumtheorie verstand sich in erster Linie als Raumkritik, als Kritik der Zurichtungen, die der Raum in der Moderne erfahren hat. Die Phänomenologie beklagte die Unterordnung der konkreten räumlichen Erfahrung unter abstrakte, geometrische Raummodelle. Marxistische Theoretiker wie Siegfried Kracauer und Walter Benjamin beschrieben die Verwandlung des städtischen Raums im Bann von Warenfetischismus und Massenproduktion. Arbeiten zur Staatstheorie, zur Wirtschaftsgeschichte und zur Medientheorie machten deutlich, wie eng politische Herrschaft mit der Beherrschung des Raums verbunden ist, mit Prozessen der Besetzung, Aufteilung und Vermessung des Landes, der Kanalisierung von Strömen, der Organisation von Verkehrswegen und Kommunikationsnetzen. Einen Höhepunkt erreichte die kritische Tendenz des Raumdenkens im Umfeld der Counter Culture um 1968. Die kritische Theorie entlarvte „Architektur als Ideologie“; die Situationisten kämpften gegen die funktionalistische Neuordnung der Stadt und erdachten dafür die Technik des „dérive“, eines ziellosen Umherschweifens im Stadtraum. Mit dem Begriff der Heterotopie schuf Michel Foucault 1967 einen Gegenbegriff zu dem der Utopie: Die „anderen Räume“, von denen er sprach, existierten nicht nur in der Phantasie oder der Literatur; es handelte sich um reale Räume, geschlossene Milieus, in denen, geschützt vor dem umgebenden hegemonialen Raum, neue, „utopische“ Formen der Vergemeinschaftung erprobt werden konnten. Michel de Certeau entwarf ein ganzes Arsenal von subversiven „Praktiken im Raum“, von „Taktiken“ der Bewegung in der Stadt, die sich der stillstellenden, strategischen Übersicht, der Perspektive der Architekt*innen und Raumplaner*innen entzogen. In Auseinandersetzung mit den Gefängnisrevolten der frühen 1970er-Jahre entwickelte Foucault das überaus einflussreiche Konzept des Disziplinar- und Überwachungsraums. Seit den 1980er-Jahren war dann, nicht weniger kritisch, vom Verschwinden des Raums die Rede, vom Verlust der Orte und der Orientierung im Zeichen der Beschleunigung (Virilio), der Simulation (Baudrillard) oder der Globalisierung (Augé). Mit seinem „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ (1990) brachte Gilles Deleuze schließlich die Foucaultsche Raumtheorie auf den aktuellen Stand der Netzwerktechnologie: Das Paradigma der Disziplin ist dem der Kontrolle gewichen, an die Stelle der strikten Ortszuweisung tritt die ununterbrochene Erfassung der Bewegungen im Raum.

Aus den Perspektiven der Kunst, der Kunstgeschichte, der Kunstpädagogik und der Philosophie werden wir in dieser Vortragsreihe gemeinsam mit Gästen die Potenzialitäten von Räumen betrachten.

 

Vortragstermine:

 

11.10.2022    Prof. Dr. Nike Bätzner, BURG

Erdhöhlen und Himmelsbügel. Eine Suche nach Räumen unter und über der Erde

Steppen und Wüsten sind Räume der Weitsicht und der Einsamkeit. Sie werden assoziiert mit Desorientierung, dem Verloren-Gehen, dem drohenden Tod – aber auch mit der Versuchung, Offenbarung, Läuterung und Weisheit in der Einsiedelei. Sie sind Testfelder für prekäre oder eigenständige Lebensformen, für gesellschaftliches Mit- und Gegeneinander; gehen diese Entwürfe schief, bleiben Geisterstädte. Die Ebenen des Ödlands eignen sich zudem für ein Probehandeln. So werden sie auch zu bevorzugten Gebieten der Land Art.

Und über ihnen ist der Himmel weit. Um den irdischen Beschränkungen der durch menschliches Handeln zugerichteten Erde zu entkommen, setzen (noch) utopische Konzepte auf ein sich Abstoßen in den Himmel. Der Vortrag betrachtet Optionen, die in der Wüstenei und den Sphären des Himmels stecken.

Nike Bätzner ist Professorin für Kunstgeschichte und zentrale Gleichstellungsbeauftragte an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.

 

18.10.2022   Prof. Dr. Sara Burkhardt, BURG

Das Loch im Zaun. Ein kunstpädagogischer Blick auf Gärten und städtischen Raum

Mit der Erkenntnis, dass der uns umgebende Raum endlich ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten der Blick auf den Garten verändert. Die Grenzen des Gartens sind durchlässig geworden — in beide Richtungen. Tiere und Pflanzen überwinden die von Menschen gemachten Begrenzungen, Gärtnerinnen und Gärtner bewegen sich in den Stadtraum hinein: Der Garten ist in Bewegung geraten.

Gärten ermöglichen Visionen von gesellschaftlichem Zusammenleben. Zum einen geht es um Verantwortung gegenüber Umwelt und Ressourcen, gleichzeitig bedeutet Gestaltung von Gärten aber auch eine Schulung der Wahrnehmung und der produktiven Kulturkompetenz. Und nicht zuletzt geht es bei Gärten um Genussfähigkeit, um ein spielerisches Erkunden der Natur, um Geschmacks- und Identitätsbildung.

Im Vortrag wird der Garten aus kunstpädagogischer Perspektive betrachtet: Welche ästhetischen Erfahrungen ermöglichen Gärten? Welche Rolle spielen Gärten als Lernorte? Welche Möglichkeiten der Gestaltung bieten sie im schulischen Kontext? Tragen Gärten immer schon einen Entwurf von Gesellschaft in sich? Und wie zeigt sich dieser?

Sara Burkhardt ist Professorin für Kunstpädagogik und Kunstdidaktik sowie Dekanin des Fachbereichs Kunst an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.

 

1.11. 2022     Prof. Dr. Nina Möntmann, Universität zu Köln

Das zeitgenössische anthropologische Museum

Bei der Auseinandersetzung mit ihrem kolonialen Erbe erwecken einige anthropologische Museen immer noch den Anschein, als gehöre es der Vergangenheit an, indem sie den Kolonialismus wie eine abgeschlossene Epoche behandeln, die ihre Sammlungen hinterlassen hat. Wie jedoch kann im Museum eine neue Gegenwart stattfinden, in der an die unvollendeten, unterbrochenen Geschichten der historischen Objekte angeknüpft wird? In diesem Vortrag betrachte ich das Konzept des Zeitgenössischen als einen experimentellen Ansatz zur Dekolonisierung des anthropologischen Museums. Dies folgt einer neuen Logik, derzufolge die Beziehung zur Vergangenheit nicht mehr von Versuchen bestimmt ist, die Geschichte zu überwinden, sondern von deren selbstbewusster Wiederaufnahme. Ich untersuche als Beispiel eine Ausstellung, in der sich dieses Verständnis widerspiegelt: das umfangreiche Ausstellungs- und Digitalprojekt Resist! Die Kunst des Widerstands, 2021/22 im Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) in Köln.

Nina Möntmann ist Professorin für Kunsttheorie an der Universität zu Köln, Kuratorin und PI am Global South Study Center (GSSC) an der UzK. Zuvor war sie Professorin für Art Theory and the History of Ideas am Royal Institute of Art in Stockholm und Kuratorin am NIFCA (Nordic Institute for Contemporary Art) Helsinki. Publikationen: Kunst als Sozialer Raum (2002/2017); Brave New Work. A Reader on Harun Farocki's film 'A New Product' (2014); z.Zt. arbeitet sie an einem Buch zu Decentering Museums. The Contemporary Art Museum and Colonial Heritage (2022).

                    

8.11.2022      Prof. Dr. Stephan Gregory, BURG

Jesuitische Tropen: Eine Heterotopie wird besichtigt

In Absetzung vom Begriff der Utopie hat Michel Foucault das Konzept der „Heterotopie“ entworfen: Gemeint sind wirklich existierende Räume, die sich vom umgebenden, gewöhnlichen Raum durch ihre „Andersartigkeit“ unterscheiden. Als prominentes Beispiel einer solchen Heterotopie erscheinen bei Foucault „die außergewöhnlichen Jesuitenkolonien, die in Südamerika gegründet wurden“. Tatsächlich hatte der Jesuitenorden als transnationales, wahrhaft globales Unternehmen in mehrfacher Hinsicht mit der Beherrschung des Raums und der Gestaltung von Räumen zu tun. Durch eine nähere Besichtigung der Jesuitenreduktionen im Brasilien und Paraguay des 17. und 18. Jahrhunderts soll deutlich werden, dass es sich dabei um vielfältig besetzte, von eigenen Dynamiken bestimmte Orte handelt, deren schillernde Erscheinungsweise sich nicht auf den einfachen Gegensatz von „irdischem Paradies“ und „Strafkolonie“ reduzieren lässt.

Stephan Gregory studierte Medizin in Marburg und Berlin, Philosophie und Literaturwissenschaft in München und Wien, lehrte Medien- und Kulturtheorie an der Merz-Akademie in Stuttgart und war Juniorprofessor für Mediale Historiographien an der Bauhaus-Universität Weimar. 2020 habilitierte er sich mit dem Buch Class Trouble – Eine Mediengeschichte der Klassengesellschaft. Zurzeit vertritt er die Professur für Philosophie an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.

 

22.11.2022   Prof. em. Dr. Klaus-Peter Busse, Dortmund

Mapping: ein künstlerisches Narrativ in der Kunstpädagogik. Vom Emscher-Panorama zum Ruhratlas

Ausgelöst durch die Debatten um die Entwicklung des Kunstbegriffs seit den späten 1990er-Jahren ereignet sich ein Paradigmenwechsel in der Kunstpädagogik, der sich in einer Neubewertung der künstlerischen Praxis und ihrer Methoden auswirkt. Inzwischen gehören Begriffe wie »Mapping« und »Atlas« zum Wörterbuch der Kunst- und Kulturwissenschaften. In den vielen Debatten über die Globalisierung, über Migrationsprozesse und über den Klimawandel zeigen sich zugleich Auseinandersetzungen mit Räumen und Raumbewegungen. Noch nie gab es so viele Landkarten und kartografische Übersichten, die diese Debatten begleiten. Angesichts der brisanten Situation, in die wir Menschen den Globus gebracht haben, funktionieren aber – so Bruno Latour – »die Instrumente, mit denen wir uns früher orientierten, nicht mehr«: »Alles muss neu kartografiert werden.« Gleichzeitig erscheinen diese Themen in den Künsten. Der Vortrag stellt das Mapping als künstlerische Methode in einen Zusammenhang mit dadurch notwendig werdenden Veränderungen in der Kunstvermittlung, die an prägnanten Beispielen vorgestellt werden.

Universitätsprofessor i. R. Dr. | Nach dem Studium der Germanistik und Kunst Lehrer an einem Gymnasium in Wattenscheid | Fachleiter für Kunst am Studienseminar in Hagen | Promotion an der Universität Dortmund über Cy Twombly | Habilitation über den Atlas als methodischer Handlungsapparat | Professor für Kunstdidaktik an der Technischen Universität Dortmund | Sprecher der Ruhruniversitäten im Kulturhauptstadtjahr 2010, mitwirkende Leitung der Hochschuletage im Dortmunder U | Fellow am Oberman Center for Advanced Studies an der University of Iowa in Iowa City.

 

29.11.2022    Prof. Dr. Regina Bittner, Stiftung Bauhaus Dessau

Schwankende Ortsbezüge: Überlegungen zu Architekturen des Unterwegsseins

Liegt es an der Schwergewichtigkeit und Gravitationskraft der Architektur, dass sich deren Geschichtserzählungen so hartnäckig mit Vorstellungen regionaler oder nationaler Container verbinden? Eignen sich nicht gerade Bauten als Ankerpunkte territorialer Verunsicherungen, um das Lokale, den Ort vor dem Hintergrund des konstanten „uprooting“ neu zu entwerfen?  Die klassische Moderne gehörte zu jenen Projekten, die architektonische Beiträge zur Bewältigung dieser „global conditions“ formuliert hatte. Zugleich hat sich ihre Geschichtsschreibung im dominanten Modus des „International Style“ für die konflikthaften Auseinandersetzungen um Ort, Anwesenheit und Gegenwärtigkeit unter der Oberfläche der weißen Wände, gläsernen Fassaden und geometrischen Kuben nicht interessiert.

Ausgehend von dominanten Historiographien der modernen Architektur als Internationaler Stil und damit verknüpften hegemonialen Geografien stellt der Vortrag Facetten einer Architekturhistoriografie zur Diskussion, die von den vielstimmigen Konversationen und komplizierten Auseinandersetzungen um die Dilemmata der baulichen Manifestationen schwankender Ortsbezüge erzählen und den diversen, spannungsvollen und räumlich weitreichenden Begegnungen und kontroversen Vorschlägen zum Bauen unter den Bedingungen mangelnder Bodenhaftung eine Stimme geben.

Regina Bittner ist Leiterin der Akademie und stellvertretende Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau und da verantwortlich für die Konzeption und Lehre der Aufbaustudiengänge für Design, Bauhaus- und Architekturforschung. Sie kuratierte zahlreiche Ausstellungen zum Bauhaus und zur Kulturgeschichte der Moderne. Arbeitsschwerpunkte: internationale Architektur- und Stadtforschung, Moderne und Migration, Kulturgeschichte der Moderne und Denkmalpflege. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden in zahlreichen Publikationen veröffentlicht. Sie studierte Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Leipzig und promovierte am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2019 ist sie Honorarprofessorin am Institut für Europäische Kunstgeschichte und Archäologien der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

 

13.12. 2022   Prof. Dr. Henning Schmidgen, Bauhaus-Universität Weimar

Existentielle Territorien. Felix Guattari und die Produktion von Subjektivität

Félix Guattari ist vor allem als Co-Autor von Gilles Deleuze bekannt geworden. Gemeinsam verfassten sie theoretische Werke, die heute als kanonisch gelten: von Anti-Ödipus über Tausend Plateaus bis hin zu Was ist Philosophie? Die Würdigung von Guattari als weitgehend eigenständigem Denker hat aber gerade erst begonnen. Dieser Vortrag möchte dazu beitragen, indem er die Aufmerksamkeit auf das Konzept der „existentiellen Territorien“ lenkt, das der späte Guattari in Büchern wie Chaosmose und Die drei Ökologien entwickelt hat. Existentielle Territorien sind demzufolge psychische Landschaften, hoch individualisierte Räumlichkeiten, die sich durch ihre affektive Intensität, aber auch durch spezifische Zeitmuster auszeichnen. Dabei sind sie nicht einfach da oder gegeben, sondern werden hervorgebracht, durch ein jeweiliges Subjekt produziert. Der Vortrag rekonstruiert diese Konzeption und veranschaulicht sie mit Hilfe ausgewählter Beispiele.

Henning Schmidgen ist seit 2014 Professor für Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar. Promotion 1996 mit einer Arbeit zu Félix Guattari, Habilitation 2011 mit einer Studie zur Geschichte der experimentellen Psychologie. Schwerpunkte der Forschung: Historische Epistemologie, Maschinentheorie, Virtuelle Laboratorien. Ausgewählte Publikationen: The Helmholtz-Curves. Tracing Lost Time (New York 2014), Die Guattari Tapes (Leipzig 2019), Horn, or The Counterside of Media (Durham 2022).

 

20.12.2022    Prof. Dr. Maren Ziese, Universität Duisburg-Essen

Raum lassen: Posthumanistische und ökologische Räume im Kontext von Kunstpädagogik

Im Posthumanismus geht es darum, den Menschen anders zu denken. Nicht mehr hierarchisch im Zentrum seiner Umwelt, die er sich im Zeitalter des Anthropozäns unterjocht hat durch eine radikale und rücksichtslose Ausbeutung der Erde mit den Folgen von Artensterben, Ressourcenknappheit, Klimawandel. Sondern als gleichwertiger Teil aller Lebewesen und organischen Formen. Dieses Herauslösen des Menschen aus seinem Sonderstatus im Bezug auf Raumnahme und die kritische Befragung der ungleichen Verhältnisse ist angesichts der Klimakrise und unseres ökologischen Kollapses unabdingbar. Vor allem um den „anderen Wesen“ (Burkhard Friedrich) auch Raum zu geben – in Wildnisgebieten oder vor der eigenen Haustür – und in Verantwortung zu gehen für unser Umfeld, für reparatives Denken und Handeln in Bildungsräumen. 

Kulturelle Bildung/Kunstpädagogik benötigen Räume an denen sie stattfinden können. Wie sind diese in Bezug auf posthumanistische und intergenerationale Gerechtigkeit gestaltet? Wie können wir verantwortungsvoll mit „Raum“ in unserer kunstpädagogischen Praxis umgehen? Welche räumlichen Aspekte nachhaltiger Entwicklung müssen wir in Vermittlungssituationen beachten? Wie können wir Chancen und Räume für alle sichern und offen sein für eine neue Form der vernetzten Wissensbildung?

Maren Ziese lehrt Kulturpädagogik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und ist Dozentin im Master Art Education Curatorial Studies an der Zürcher Hochschule der Künste. Von 2020-2022 war sie Vertretungsprofessorin für Kunstpädagogik und Didaktik der Kunst an der Universität Duisburg-Essen und leitete die PwC-Stiftung Jugend-Bildung-Kultur. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Kunst/Bildung/Ökologie, Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung, soziale Arbeit und Raum, postkoloniale/diskriminierungskritische Bildung, Partizipation und Diversity.

 

17.1.2023      Prof. Dr. Maria Muhle, Akademie der Bildenden Künste München

(>>>>> Der Vortrag muss leider ausfallen)

Dispersionen im Raum. Roger Caillois’ mimetische Milieus

In seinem Text „Mimese und legendäre Psychasthenie“ (1935) widmet sich Roger Caillois Formen exzessiver Nachahmung anhand der Insektenmimese und eröffnet mit dem Begriff der „legendären Psychasthenie“ zugleich eine Fluchtlinie hin auf die psychische Verfasstheit menschlicher Subjekte und ihre Raumpathologien. Entgegen der These, das mimetische Anpassungsverhalten der Insekten an ihre Umwelt sei ein Abwehrmechanismus, zeigt Caillois, dass es sich hierbei keineswegs um eine Artikulation des Selbsterhaltungstriebs, sondern um einen „Trieb zur Selbstaufgabe“ handele. Mimese wird zur Pathologie, insofern sie die Unterscheidung zwischen Organismus und Umgebung zersetzt. Zugleich beschreibt Caillois die morphologische Mimese in einem fotografischen Register und gibt so Anhaltspunkte für die Bestimmung einer reproduktiven Ästhetik. So ergeben sich Anschlüsse für Fragen nach environmentalen Medien genauso wie für die zeitgenössische Rede von „Bildermilieus“ (Joselit), die sich qua Aneignungs- und Anähnlichungsprozessen von Bildern an Bildern ausbilden.

Maria Muhle ist Professorin für Philosophie | Ästhetische Theorie an der Akademie der Bildenden Künste München und Herausgeberin des August Verlags Berlin. Sie ist Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs „Medienanthropologie“ der Bauhaus-Universität Weimar. Soeben erschienen: Mimetische Milieus. Eine Ästhetik der Reproduktion, München: Fink 2022.

 

24.1.2023      Prof. Dr. Elke Krasny, Akademie der bildenden Künste Wien

Im Gehen: Feministische Spaziergangswissenschaft als kritische Kulturanalyse

Gehen, so die Anthropologin Anna Tsing, ist die Geschwindigkeit für Wahrnehmen und Denken und notwendig für die Vorstellung von Alternativen. Gerade weil diese Einschätzung aufzeigt, welche Bedeutung dem Gehen für das Denken und für das Imaginieren von anderen möglichen Welten und Zukünften beigemessen wird, gilt es aus kritischer feministischer Perspektive nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Gehens zu fragen. Gehen verbindet in spezifischer und komplexer Weise Körper, ihre Aktionen und Reaktionen, Wahrnehmungen und Gefühle mit räumlichen Dimensionen von Stadtplanung, infrastrukturellen Gegebenheiten und Umwelt ebenso wie mit sozialen Konventionen und Gewaltverhältnissen. Intersektionale Differenzen von Class, Gender, Race und Sexualitäten, zu denen aus Sicht der Umweltgeisteswissenschaften auch Umwelt zu zählen ist, sind zentral für die Entwicklung einer feministischen Spaziergangswissenschaft als kritische Kulturanalyse. Der Raum des Gehens ist nie neutral. Praxen des Gehens sind lokal, spezifisch, situiert. Feministische Spaziergangswissenschaft verändert sich mit den Theorien und Praxen, mit denen sie befasst ist. An einer kritischen Theorie des Gehens interessiert, untersucht der Vortrag das Gehen zum einen an den Schnittstellen von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit und analysiert auf Gewaltverhältnissen beruhende Unmöglichkeiten des Gehens und nimmt zum anderen künstlerische und aktivistische Praxen in den Blick, die mit und an der Veränderung des Gehens arbeiten und sorgetragende Alternativen imaginieren.

Elke Krasny ist Professorin an der Akademie der bildenden Künste Wien. Als Kulturtheoretikerin, Stadtforscherin und Kuratorin arbeitet sie zu emanzipatorischen und transformativen Praxen in Architektur, Urbanismus und zeitgenössischer Kunst mit Fokus auf sozialen und ökologischen Dimensionen von Care. Gemeinsam mit Angelika Fitz hat sie Critical Care. Architecture and Urbanism for a Broken Planet herausgegeben (MIT Press, 2019). Ihr nächstes Buch widmet sich Fragen von Care unter pandemischen Bedingungen: Living with an Infected Planet. Covid 19, Feminism and the Global Frontline of Care (transcript).

 

31.1.2023     Prof. Dr. Helmut Draxler, Universität für Angewandte Kunst Wien

Transzendenz und politischer Raum

Der politische Raum ist nie einfach nur ein Raum des Aufeinandertreffens, der gemeinsamen Artikulation oder der Konstitution eines kollektiven politischen Subjekts. Weder die konkreten räumlichen Gegebenheiten noch die jeweiligen Handlungsformen der Akteure können
den Sinn eines jeden politischen Geschehens vollständig bestimmen. Es gibt daher keinen gelingenden, gemeinsamen Begriff nach dem Muster des Arendt'schen „Erscheinungsraums". Vielmehr gibt es nur grundlegende Differenzen zwischen dem Raum, der Handlung und deren Bedeutung als Politik. Und es gibt jene vermittelnden, öffentlichen „Sphären“ medialer, urbaner, institutioneller, diskursiver oder kommerzieller Art, die sich zu den empirischen Austragungsorten von Politik entwickelt haben. Gerade dort bleibt der „Sinn von Politik“ notwendigerweise opak.
Mithin braucht es „ein Bild des Denkens“ (Deleuze), das der grundlegenden Transzendenz des Begriffs der Politik gerecht wird.

Helmut Draxler ist Professor für Kunsttheorie an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Letzte Publikationen: Die Wahrheit Der Niederländischen Malerei. Eine Archäologie Der Gegenwartskunst, Paderborn (Brill-Fink) 2021; Abdrift Des Wollens. Eine Theorie der Vermittlung, Wien, Berlin (Turia + Kant) 2017.

 

 

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Name des/der Lehrenden / Name of Teacher

Prof. Dr. Nike Bätzner, Prof. Dr. Sara Burkhardt, Prof. Dr. Stephan Gregory und Gäste

Veranstaltungsart und -methodik / Teaching and working methods

Vorlesung

Verwendbarkeit / Applicability
Diplom Kunst: Kunstgeschichte; Kunst (Lehramt): Kunstgeschichte I oder II oder WP Kunstwissenschaften; MA Kunstwissenschaften: Modul 2 (Theorien und Diskurse) oder Modul 7 (vertiefende Formate); Kunstpädagogik (Diplom): Bezugswissenschaften oder Kunstgeschichte oder Philosophie oder Kunstpädagogik

Lernziele, Qualifikationsziele / Objectives,  Learning Outcome

  • vertieftes Verständnis für diskursive Zugänge zu wissenschaftlichen Modellen und historischem Wissen der Kunst- und Kulturwissenschaften
  • Verständnis für disziplinäre und transdisziplinäre Theorien
  • Reflexion eines kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Diskursfeldes

Beurteilung / Assessment

Teilnahme (T), mündliche Prüfung nur für Lehramt, Kunstgeschichte II

Zugangsvoraussetzung / Prerequisites

keine

Umfang in SWS / Semester periods per week

2

Häufigkeit, Dauer und Termin,  Ort des Angebots / Appointed time and location
Zeit: Di, 16:15-17:45, in den Normalwochen
Ort: Hörsaal 008, Neuwerk 7